Full text: Allgemeine Moralphilosophie. (01)

1321- Teil. 2. Buch. 3. Kap. Von dem Gegenstand der menschlichen Glückseligkeit. 
den natürlichen Trieb, sich zu vervollkommnen. Dieser Trieb ist aber 
ein Trieb nach größerer Verähnlichung mit Gott, weil alle Dinge durch 
ihre Natur mehr oder minder schwache Abbilder der göttlichen Vollkom 
menheit sind, der sie als ihrer vorbildlichen und wirkenden Ursache das 
Dasein verdanken. Außerdem ist das Streben nach Vollkommenheit ein 
Streben nach größerer Teilnahme an der Vollkommenheit Gottes, der 
die Quelle und das Vorbild alles Guten ist. In dieser Weise erreicht Gott 
durch das Wirken aller Dinge seine Verherrlichung, weil sie immer mehr 
die göttliche Vollkommenheit zur Darstellung bringen und verkünden, 
gleichwie ein Kunstwerk um so mehr zum Ruhme seines Meisters ge 
reicht, je vollkommener es ist. 
Hat nun jedes Geschöpf die möglichste Verähnlichung mit Gott zum 
Ziele, so ist es leicht, dieses Ziel näher zu bestimmen. Man braucht bloß 
zu fragen, wodurch es Gott, seinem Schöpfer, nach Maß 
gabe seiner Fähigkeit am ähnlich st en werde. 
Dasselbe gilt auch vom Menschen, der nicht nur Gott ähnlich, 
sondern dessen Ebenbild ist. Sein Ziel muß dasjenige sein, wodurch 
er nach der Eigentümlichkeit seiner Natur Gott am meisten ähnlich wird. 
Dieses ist aber die Be s e l i g u n g des Verstandes und Willens im Be 
sitze des höchsten Gutes oder die vollkommene Erkenntnis und 
Liebe Gottes. Gott ist vollkommenes Erkennen und Lieben, und der 
eigentliche Gegenstand dieses Erkennens und Liebens, dasjenige, in dem 
er alles erkennt und um dessentwillen er alles liebt, ist seine eigene, un 
endlich vollkommene Wesenheit, der Urgrund alles Wahren und Guten. 
Der Mensch kann also erst dann Gott vollkommen ähnlich sein und ihn 
vollkommen verherrlichen, wenn er zur vollkommenen Erkenntnis und 
Liebe Gottes gelangt ist und im Besitz dieses Urgrundes alles Wahren und 
Guten vollkommen beseligt ruht. 
Treffend entwickelt der hl. Thomas 1 denselben Gedanken noch in 
anderer Weise. Wenn mehrere Beweger in Unterordnung untereinander 
zusammenwirken, so geht sowohl der Antrieb zur Bewegung als die Rich 
tung auf das Ziel vom ersten Beweger aus. So z. B. bewegt die Seele 
die Hand, die Hand den Stock, der Stock endlich schlägt. Die Seele ist es, 
die den Schlag sich zum Zweck nimmt und zu diesem Zweck die Hand und 
durch diese den Stock in Bewegung setzt. 
Da nun das ganze Universum ein geordnetes System darstellt, in 
dem Gott der erste Beweger ist, so geht sowohl der Antrieb zur Be 
wegung der Geschöpfe als auch die Richtung auf das Ziel von 
ihm aus. Ein Geschöpf kann das andere nur durch äußeren, gewaltsamen 
Impuls in Bewegung setzen, Gott aber legt den Antrieb zur Bewegung 
1 In 4 dist. 49, q. 1, a. 3, sol.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.