Full text: Allgemeine Moralphilosophie. (01)

§ 5. Widerlegung einiger Einwendungen. 
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Kann somit der Mensch in diesem Erdenleben sein vollkommenes 
Glück nicht finden, so folgt, daß dieses Glück im un st erblichen Le 
ben jenseits des Grabes seiner wartet. Irgendwann und irgendwo muß 
er zu seinem vollen Glück gelangen können. Da dies im irdischen Leben 
nicht der Fall ist, so muß ihm das Glück im unsterblichen Leben des Jen 
seits zuteil werden. 
Fürwahr, hat der Mensch nichts zu hoffen als das Elend dieses 
Lebens, dann werden ihm seine edelsten Vorzüge zum Fluch. Was nützt 
ihm schließlich die Größe und der Adel seines Verstandes und Willens, 
wenn er dem Tiere gleich dazu verurteilt ist, sich in der Spanne Zeit hier 
auf Erden häuslich einzurichten und dann für immer in Staub zu 
sinken? Wäre es dann nicht das ratsamste, möglichst rasch und möglichst 
viel Erdengenuß zu erhaschen und, sobald das Leben nichts mehr zu bie 
ten vermag, diesem sinnlosen Treiben ein Ende zu machen? 
§ 5. Widerlegung einiger Einwendungen. 
Gegen die Behauptung, die Glückseligkeit des Menschen bestehe in der 
vollkommenen Erkenntnis und Liebe Gottes, läßt sich einwenden, eine 
solche Glückseligkeit entspreche wohl einem reinen Geiste, aber nicht dem 
Menschen, der aus Leib und Seele zusammengesetzt ist und 
erst dann wahrhaft als Mensch sein Glück gefunden hat, wenn seine 
leiblichen und geistigen Begehrungen vollkommen befriedigt sind. 
Allein durch unsere Lehre ist die Beseligung des sinnlichen Teiles 
nicht ausgeschlossen. Wir behaupten nur, das Wesen der vollkomme 
nen Glückseligkeit des Menschen bestehe in der Erkenntnis und der damit 
verbundenen Liebe Gottes 1 . Daraus folgt allerdings, daß sich die Be 
seligung des sinnlichen Teiles nicht als einfachhin notwendig zur Selig 
keit des Menschen nachweisen läßt, aber nicht, daß sie unmöglich sei. Da 
wir bewiesen haben, daß die vollkommene Glückseligkeit erst im zukünf 
tigen Leben erreicht werden kann, hängt die Entscheidung der ange 
regten Frage davon ab, ob die Auferstehung des Leibes auch in 
der rein natürlichen Ordnung stattfände oder nicht. 
Durch die Offenbarung wissen wir, daß in der gegenwärtigen über 
natürlichen Ordnung, in die uns Gottes freie Erbarmung erhoben 
hat, der Leib einst vom Tode erstehen und in einem Zustande der Ver 
klärung an der Seligkeit teilhaben wird. Ob er aber in der rein 
1 Auf die Streitfrage, ob das Wesen der Glückseligkeit bloß in der E r - 
kenntnis Gottes oder in der Erkenntnis und Liebe Gottes bestehe, gehe 
hier nicht näher ein, weil sie wenig praktische Bedeutung hat. Vgl. darüber unsere 
Philosophia moralis in usum scholarum (ed. 12) n. 51 sqq.
	        
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