Full text: Allgemeine Moralphilosophie. (01)

138 1- Teil. 2. Buch. 3. Kap. Von dem Gegenstand der menschlichen Glückseligkeit. 
natürlichen Ordnung auferstehen würde, wissen wir nicht. Diese 
Frage läßt sich mit Sicherheit weder bejahen noch verneinen. 
Wir können sie nicht mit Sicherheit verneinen. Ihre Entschei 
dung hängt schließlich vom freien Willen Gottes ab. Man kann auch 
Gründe anführen, welche eine solche Auferweckung des Leibes in der rein 
natürlichen Ordnung als höchst angemessen erscheinen lassen. Sie ent 
spricht sowohl der Güte Gottes als der Natur des Menschen. Die Seele 
des Menschen hat eine natürliche Veranlagung zur wesenhaften Vereini 
gung mit dem Leibe, und es ist geziemend, daß der Leib, das Werkzeug 
der Seele beinl Erwerb der Seligkeit, auch teilnehme am Lohne. 
Sie läßt sich aber auch nicht mit Sicherheit bejahen. Ist auch die 
Vereinigung des Leibes mit der Seele eine natürliche, beide Teile inner 
lich zu einem einzigen Wesen verbindende, so bleibt doch der Leib die 
nendes Werkzeug. Ist die Seele an ihrem Endziel angelangt, so 
hat der Leib seine Aufgabe gelöst, und sie bedarf seiner nicht mehr. Ja er 
wäre ihr ein Hindernis zum ungestörten vollkommenen Besitze Gottes, 
wenn er nicht gänzlich umgestaltet, allen Schmerzen, Krankheiten und 
Schwächen enthoben und der Seele vollständig unterworfen würde. Daß 
aber Gott eine solche Umgestaltung des Leibes in der rein natürlichen 
Ordnung vornehmen müsse, läßt sich nicht mit Sicherheit beweisen. 
Eine andere Schwierigkeit gegen die vorgetragene Lehre vom höchsten 
Gut ergibt sich aus der unbegrenzten Vervollkommnungs 
fähigkeit des menschlichen Erkennens. Zum vollkommenen Glücke 
gehört der Besitz alles Guten und Wahren, dessen Verstand und Wille 
fähig sind. Nun aber scheint unsere Erkenntnis Gottes nie so vollkom 
men werden zu können, daß sie nicht noch einer höheren Vollkommenheit 
fähig wäre. Oder vermag etwa der endliche Verstand das Unendliche so 
vollkommen zu begreifen, daß eine vollkommenere Erkenntnis nicht mehr 
denkbar wäre und das Erkennen des Geschöpfes dem göttlichen Erkennen 
gleichkäme? 
Indessen wir dürfen den Menschen nicht außerhalb der von Gottes 
Vorsehung gewollten Ordnung denken. Wir werden später beweisen, 
daß Gott einem jeden den Grad von Seligkeit verleihen wird, welcher 
seinen Verdien st en hier auf Erden entspricht. Diese Seligkeit würde 
ferner auch in der rein natürlichen Ordnung in einer so vollkommenen 
Erkenntnis und Liebe Gottes bestehen, daß wir sie hienieden nur von 
ferne ahnen könnten, freilich ohne in ein unmittelbares Schauen Gottes 
überzugehen, wie jetzt in der übernatürlichen Ordnung. Folglich könnte 
sie auch nicht ohne einen besondern, jedoch von der natürlichen Ordnung 
erheischten und in diesem Sinne natürlichen Beistand Gottes zu 
stande kommen. Diese Beihilfe Gottes würde somit auch das Maß der
	        
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