Full text: Gregorius auf dem Steine, der mittelalterliche Oedipus

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Gregorius kommt zur guten Stunde, da Herzogin und Stadt von dem abgewiesenen 
»nächtigen Freier hart bedrängt werden. Durch diese Belagerung wird in der einfachsten und 
natürlichsten Weise die Sphinx ersetzt, welche schon in der antiken Sage als ein etwas fremd 
artiges, unorganisches Element erscheint.* *) Die mittelalterliche Sage ist hier in sich selbst 
übereinstimmender und harmonischer. Auch dass Gregorius, der sich dort zum trefflichsten 
Ritter ausbildet, die Herzogin, für welche er wegen ihrer Bedrängnis inniges Mitleid empfindet, 
liebgewinnt und die ihm so ehrenvoll angetragene Hand nicht zurückweist, ist ganz natürlich. 
Einmal gewinnt er dadurch ein Reich, und dann wird die Herzogin selbst als schön und lie 
benswert h geschildert. Von der Erforschung seiner Eltern, die von vorn herein nicht der 
Hauptgrund zum Verlassen des Klosters war, ist hier in dem Heimatlande keine Rede mehr; 
Gregorius ist nur dem ritterlichen Dienste hingegeben und einzig darauf bedacht, das Land 
zu befreien. In dieser Versäumnis liegt allerdings eine gewisse Verschuldung auf Seiten 
Gregor’s. Aber verwunderlich ist es, dass die Mutter diese Ehe scldiessen kann. Denn als 
ihr Gregorius zum ersten Male vorgestellt wird, erkennt ihr weibliches Auge sofort, dass des 
Gastes Kleid und das Seidenzeug, welches sie einst ihrem Kinde mitgegeben, an Güte und 
Farbe völlig gleich sind: 
im Stande der Nothwehr ist? Uebrigens wird auf den Umstand, dass die Begleiter (Sklaven) bei dieser Gelegenheit 
das Leben verlieren, von der Sage selbst hinsichtlich der Schuldfrage gar kein Gewicht gelegt. Noch inehr ist 
des 0. Handlungsweise gerechtfertigt nach antikem Hechte; denn hier galt es als Grundsatz: Böses mit Bösem zu 
vergelten und wegen erlittenen Unrechts Rache zu nehmen (~0V XOCXQCJTC öpcoVTGt 5s(,V0t£ (XVTGC(J.Stßs(j l ^'GCl XOCXOL£ 
s. auch Oed. auf Kol. 229 f.). Deshalb erklärt Oedipus selbst, dass er dem Gesetze nach rein sei (otXo\J£ £(pO- 
VSUtfCX XOLl G)Xs <50L * VOJXO 5s XOt^Tcxpo^ Oed. auf K. V. 517 ff.). — Kock freilich in den beiden vorhin angeführten 
Schriften sucht die That als eine „wilde“ That, als einen Ausbruch roher, unbesonnener Wuth darzustellen, wobei 
er, um die Schuld des 0. möglichst gross erscheinen zu lassen, TTatSlV mit erschlagen übersetzt („der Wagenlenker 
drängt ihn aus dem Wege; in der Hitze erschlägt ihn Oedipus“), während er die dem Oed. widerfahrene Unbill 
und Mishandlung (den Schlag über den Kopf!) ein „kleines Unrecht“ nennt, welches er ruhig hätte ertragen sollen, 
Fiebig und Bergenroth haben als beredte Anwälte Oed. gegen diese Anklagen vertheidigt, sowie auch wegen seines 
Verhaltens bei der ihm angetragenen Ehe mit Iokaste; man sehe ausserdem Oed. eigne Vertheidigung im Coloneus 
V. 992 ff.: „Wenn einer dich hier zur Stelle tödten wollte“ u. s. w. 
Da es nun aber das Blut des Vaters ist, welehes bei diesem Anlass vergossen worden von Kindeshand, 
so darf dies nicht ungerochen bleiben, mag der Thäter an sich zurechnungsfähig sein oder nicht. Die Erinnyen, 
welche die an den Eltern begangenen Vergehen zu rächen haben, zürnen dem Oedipus, wie Orestes von ihnen 
verfolgt wird, obgleich er nur auf Apollo’s Geheiss die Mutter erschlagen hat. Oedipus hat, wenn auch unwissentlich, 
die geheiligte Naturordnung verletzt und ist hierdurch im Sinne der Alten objectiv ruchlos geworden. 
Die subjective Seite seiner Thaten wird erst im „Oedipus auf Kolonos“ und hier mit allem Nachdruck hervorgehoben. 
*) Woher dies Ungethüm komme, wer es gesendet, w r as es bedeute, wird nichtgesagt, wenigstens von keinem der 
Tragiker. Spätere Sage gibt an, Ares habe es gesendet, zur Strafe für die (vor mehreren Menschenaltern geschehene) Tödtung 
des Drachen, welche doch Kadmus selber schon durch achtjährige Dienstbarkeit gesühnt hatte, oder Here habe es 
gesendet. In diesen verschiedenen, wenig befriedigenden Angaben verräth sich die Verlegenheit der Sage. Die 
Sphinx („Würgerin“ von GCpiyyo würgen) ist offenbar das Sinnbild einer furchtbaren Plage, sei dies nun die Son 
nenglut (wie in der ägyptischen Symbolik), sei es eine in dem sumpfigen und ungesunden Böotien auftretende Seuche. 
V 7 enn nun Oedipus der einzige ist, welcher sie besiegen kann, so liegt darin, wie auch in seiner Verbindung mit 
den chtlionischen und den diesen venvandten Naturgöttern, wieder ein Beweis, dass er ursprünglich mehr als ein 
Mensch, dass er auch Sinnbild einer höhern Macht ist, Verkörperung einer Naturmacht und zwar der rauheren 
Jahreszeit, des Winters. Das ist der fremde Wanderer, der in das Land kommt, die rathlose Menschheit von 
jener Plage befreit und nach Beseitigung des früheren Herrschers selber das Regiment« in die Hand nimmt. 
Als der Mythus vermenschlicht wurde, blieb die Gestalt der Sphinx, deren symbolische Bedeutung dem 
Bewusstsein entschwunden war, wesentlich unverändert stehen, und fremdartig, selbst ein Räthsel, ragt sie nun in 
die weiter gebildete Sage hinein.
	        
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