111. Abschnitt. Das Ethos der Griechen. 45
soll, dann erst die des Menschen. Denn er selbst im Ganzen
ist das Subjekt des Ethos. Daher die unnatürliche Bestim
mung der Weiber bei Platon, die Verbannung der Poesie und
Aehnliches.
Von Recht in unserem Sinne, nach welchem jemand inner
halb einer Sphäre soll schalten und walten können, wie er selbst
es will, ist hier keine Vorstellung. Nirgend setzt der Grieche
den Fuß außer der Welt, der er angehört, seinem Staate. Grie
chische Freiheit ist nicht, wie römische, Schutz der freien Verfü
gung über einen bestimmten abgeschlossenen Gegenstand, sondern
idealer Antheil an dem Handeln des Staats. Daß im plato
nischen Staate, in Sparta individuelle Freiheit aufgehoben ist,
stellt sich von selbst dar. Das attische Recht konnte zwar bei
dem lebhaften Handel und Wandel die Privatbestrebungen nicht
ohne ihnen entsprechende Normen lassen. Aber dennoch regelt
es sie nicht nach dem privatrechtlichen Principe, d. i. nach dem
Willen der Menschen, sondern strebt, sie ihren eignen inne
wohnenden Ideen geniäß zu gestalten, wie dieß leicht nachzu
weisen ist. Daß der Begriff persönlicher Berechtigung den
Griechen durchaus fremd ist, zeigt aufs deutlichste eine Stelle im
ersten Buche der Republik des Platon. Unter allen möglichen
Bestimnuingen des Gerechten, welche hier versucht werden sollen,
kommt er auch zu jöer, es bestehe darin, „daß jedem das ihm
Zukommende gegeben werde." Man glaubt hierin das Römische:
8unm auiguö tribue, und sohin Recht und Anspruch in unseren!
Sinne zu entdecken. Allein wie Platon diesen Satz genauer
untersucht, findet er in ihm, daß den Freunden wohl, den
Feinden aber wehe gethan werden müsse. Unter dem Zukom
menden (upoar/xov, suum) ist also nicht etwas gemeint, worüber
jemand nach eigenem Willen verfügen, es sich aneignen oder es
ungebraucht lassen dürfte; sondern ein solches, das ihn mit