Full text: Aufsätze, Reden und Briefe

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gehalten, hat Baupläne entworfen, hat Kirchen gebaut von 
einer überladenen Pracht, daß die gläubigen Gemüter entsetzt 
vor diesem Produkt standen. Er hat die schönsten Straßen 
seiner Hauptstadt gepflastert mit Denkmälern seiner Ahnen, 
so daß der Stoßseufzer eines Bauernkindes berechtigt erscheint, 
das seinen Vater fragte, — ob in Berlin auch die Vogelscheu 
chen aus Marmor gemacht würden. Er hat Manöver insze 
niert, große Reiterattacken gegen mächtige Kanonenbatterien 
anreiten lassen, und die sachverständigen Generale haben 
ihrem Schöpfer gedankt, daß die Kanonen, nur blind geladen 
waren. So 'hat der deutsche Kaiser sein Volk zu Vergleichen 
herausgefordert, und er darf sich nicht wundern, wenn jeder 
von uns die Ueberzeugung hat: Der Kaiser ist nur ein Mensch, 
zweifellos aber kein Genie, das hat er auf allen Gebieten der 
menschlichen Tätigkeit bewiesen. Ueberall finden wir an 
ihm die charakteristischen Züge unzureichenden Könnens. 
Nun beginnt er zu reden, viel zu reden, zu viel zu reden. Ein 
Pastor in Bremen hat vor kurzem ein Buch über Moltke 
geschrieben und darin die verblüffende Entdeckung gemacht, 
daß Moltke in allen seinen politischen Taten eine auffallende 
Ae'hnlichkeit mit — Wilhelm II. aufzuweisen habe. Man 
denke: Der große Schweiger Moltke mit Wilhelm II.! — 
Was hat die Welt in den 20 Jahren der Regierung Wilhelms II. 
alles hören müssen? Wie oft haben wir gehört, daß der 
Kaiser 'heute segnete, was er morgen verflucht hat! Wir 
hören, daß er einmal drohte: „Wer sich mir entgegenstteJlt, 
den zerschmettere ich!“ Das Wort galt dem Alten im Sach 
senwalde. Es dauerte nicht lange, da hat er eine Ver 
söhnungsvisite in Friedrichsruhe machen müssen. Ein ander 
mal sagte er, die christlichen Soldaten seien die tüchtigsten 
Krieger, und es dauerte nicht lange, da wurden die russischen, 
christlichen Krieger, deren Tornister vollgepfropft wgren mit 
Heiligenbilder, jämmerlich geklopft von den gottlosen Ja 
panern. Wenn er so schon gegen die hochgestellte Person 
Bismarcks vom Leder zog, wie hat er erst die Sozialdemokratie 
behandelt! Wir waren einmal eine „Rotte von Menschen, 
nicht wert, den Namen Deutscher zu tragen“; dann wurde 
uns mit Zuchthaus gedroht, falls wir versuchen sollten, den 
Arbeitswilligen ihr nützliches Handwerk zu legen. Und es 
wurde uns weiter gesagt, daß er Nörgler und Schwarzseher 
nicht dulden würde, wir Unzufriedene sollten den Staub von 
unseren Füßen schütteln, — das gäbe eine ordentliche Staub-
	        
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