Full text: Aufsätze, Reden und Briefe

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würde es mir übelnehmen, wenn ich nicht auch ihm ein paar 
freundliche Worte widmen würde. Es ist eine merkwürdige 
Wandlung mit unserer Politik vorgegangen: noch vor ganz 
kurzer Zeit mußten wir uns dagegen wenden, daß die lei 
tenden Männer der Regierung, die hohen und die aller 
höchsten, zu viel und zu gut geredet haben; heute ist die 
Situation umgekehrt: heute beschweren wir uns darüber, daß 
wir eine nichtssagende Regierung haben, die nur durch reak 
tionäre Taten zu uns spricht. Diese Wendung hat etwas 
Komisches; sie hat aber zugleich einen sehr ernsten Unter 
grund. ln unserer Reichsverfassung ist zwar die Verantwort 
lichkeit des Reichskanzlers festgelegt; aber unsere Reichsver 
fassung ist in vielen Dingen ja ein Halbfabrikat: es ist nicht 
gesagt, wie die Verantwortung geltend gemacht werden soll. 
In der Praxis besteht die Verantwortung des einzigen Reichs 
ministers, den wir haben, darin, daß er uns hier Rede und 
Antwort steht über seine Taten, Auskunft gibt über seine 
Absichten. Es ist also im wesentlichen eine moralisch-politi 
sche Art seiner Verantwortlichkeit. 
Nun hat sich aber der Herr Reichskanzler darauf be 
schränkt, unbequemen, aber ganz wichtigen Anfragen einfach 
auszuweichen; er hat geschwiegen. Auf dem Gebiet der aus 
wärtigen Politik wollen wir ihm das nicht übelnehmen, dort 
billigen wir ihm mildernde Umstände zu; wenn er sich da 
noch als Lehrling fühlt, so wollen wir ihn in dieser Selbst 
einschätzung nicht hindern. Aber er hätte vielleicht besser 
getan, dann die Behandlung der ganzen auswärtigen Politik 
dem Herrn Staatssekretär v. Schoen zu überlassen; er hätte 
besser daran getan, uns nicht diese Selbstverständlichkeiten 
zu erzählen, die für alle Zeiten und Völker passen. Die 
Grundsätze, die er vorgetragen hat über friedliche Gesinnung 
und Stetigkeit, sind natürlich gut und schön, und werden von 
jedem geteilt; aber darum dreht es sich nicht. Börne hat ein 
mal gesagt, so wie die geizigen Leute Schätze an häufen, 
aber das Geld nicht ausgeben, so häufen die reaktionären Re 
gierungen gute Grundsätze an, ohne sie anzuwenden; und 
wenn mein Freund Scheidemann gesagt hat, er möchte, daß 
der Herr Reichskanzler über die auswärtige Politik etwas 
Besonderes sagt, so hat er damit nicht gemeint, daß wir 
Sensationen erwarten. Er hat gewünscht und gehofft, daß 
uns über wichtige Fragen der auswärtigen Politik des Reichs 
bestimmte Erklärungen abgegeben würden. Ich will nur
	        
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