Full text: Aufsätze, Reden und Briefe

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Mehrheit zu einem Volk von Lohn- und Gehaltsempfängern 
geworden, und für diese Wirtschaftstatsache sind wir der 
politische Ausdruck. Deshalb sind Sie auch machtlos gegen 
unser Wachstum in der Vergangenheit wie in der Zukunft. 
Vor fünf Jahren saß dort an jener Stelle, wo jetzt der Herr 
Reichskanzler nicht sitzt, ein sehr geschickter Mann, der sich 
jeder politischen Situation anzuschmiegen wußte, der Fürst 
Bülow. Wie hat er damals über unsere Partei gehöhnt! 
Was hat er sich eingebildet, daß er uns zurückgedrängt, zu 
rückgetrieben habe! Und jetzt? Fürst Bülow ist gegangen; 
und wir sind geblieben und werden weiter bleiben! Die 
Reichskanzler sind vorübergehende Erscheinungen. Die So 
zialdemokratie aber, die steckt in dem Gefüge Ihrer soge 
nannten Ordnung drin wie ein Keil; und je mehr Sie auf 
diesen Keil losschlagen, desto fester wird er sitzen, und desto 
tiefer wird er eindringen! 
Gegen Daliwitz*) 
Zur Verteidigung des Breslauer Redakteurs Okonsky 
vor der Breslauer Strafkammer 
Nach der „Breslauer Volkswacht“, 11. April 1912 
Der politische Minister, Herr v. Dallwitz, hat einen selt 
sam unpolitischen Strafantrag gestellt. Der Artikel, mit dem 
wir uns heute beschäftigen, enthält die schwere Anschuldi 
gung, daß die Regierung das feierliche Versprechen der 
Thronrede, das preußische Wahlrecht zu reformieren, schuld 
hafterweise nicht erfülle. Hier wird also eine Behauptung 
aufgestellt, die geeignet ist, das politische Ansehen des Mi 
nisters schwer zu schädigen; — aber dagegen läßt Herr 
v. Dallwitz keine Anklage erheben. Die Strafverfolgung ver 
langt er vielmehr nur wegen der Kritik, die in dem Artikel 
an dem schlechten Ton der Ministerrede geübt wird. Kritiken 
sollten „nicht genieret“ werden. Wir kennen die Antwort, die 
Moses Mendelssohn dem König Friedrich II. gab, als der 
Fürst sich über eine tadelnde Rezension beschwerte, die 
Mendelssohn an einem schlechten Gedicht des Fürsten ge 
übt hatte. Mendelssohn sagte: „Wer Verse macht, schiebt 
Kegel und muß sich gefallen lassen, daß ihm der Kegeljunge 
*) Damaliger preußischer Minister des Innern.
	        
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