38
Zum neuen Jahr!
„Junge Garde“, 15. Dezember 1907
Es will ein böser Winter werden. Das Gespenst der Ar
beitslosigkeit geht um. Fleißige Hände, bereit zu schaffen,
müssen gezwungen ruhen. Der „Markt“ ist übersättigt, und
hunderttausend arme Menschen hungern. Die reichen Leute
haben jetzt auch ihre Sorgen: sie wählen für ihre Lieben
schöne Geschenke zum lichterhellen Weihnachtsfest. Derweil
aber wächst von Tag zu Tag der bleiche Elendszug der Groß,-?
Stadtkinder, denen die Eltern kein Essen mehr reichen können.
Ein unheimliches, furchtbares Bild! Und wer Scham hat,
schlägt davor die Augen nieder, und wessen Gewissen nur
schläft, das mag da geweckt werden. Die Herren unserer
Welt haben harte Herzen, — sonst könnten sie den Anblick
nicht ertragen. Für den, der weint und bettelt, werfen sie ein
Almosen hin; für den, der stolz fordert, warten Flinten und
Kanonen. Sie sperren die Grenzen ab und treiben Wucher
mit Fleisch und Brot und lassen dann durch ihre Soldprediger
künden, die Not sei das ewige Werk eines gerechten Gottes..
Wendet euch weg von ihnen! Bei uns ist euer Platz! Wir
können nicht alle Tränen trocknen; aber die in falscher;
Demut Gebeugten richten wir auf, und in die hoffnungs
armen jungen Seelen pflanzen wir unsern großen Zukunfts
glauben. Es werden freie, freudige Menschen auf Erden
wohnen und nimmer darben. Der Weg, der noch vor uns
liegt, ist steil und rauh. Wir werden Stufen hauen höhen-
wärts und nicht erlahmen. Um uns und in uns wächst eine
neue Welt.
Das freie Wahlrecht ist das Zeichen
„Jung-e Garde“, 15. Januar 1908
Vor dem preußischen Abgeordnetenhaus, vor dem Rat
haus und beinahe auch vor dem Königsschloß, sind die
Proletariermassen aufmarschiert, um ihr Recht zu verlangen.
Die vornehme Wilhelmstraße hat gedröhnt von dem Tritt
der „Arbeiterbataillone“, über die kein Spötter mehr zu
witzeln wagen wird. Bis in die hintersten Schreibstuben der
Ministerpaläste ist der gewaltige Klang der Marseillaise ge
drungen, — eine gewaltige Welle von Zukunftsstolz und
Selbstvertrauen flutete aus dem Anblick dieser mutigen
Scharen in die Herzen der Kameraden. Die Begeisterung der
Veteranen entzündete sich am Feuer der Jungen, und die