Full text: Aufsätze, Reden und Briefe

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Kräften die Lücken der elenden Volksschulbildung auszu 
füllen. Natürlich kann durch Vorträge und Bücher nicht 
mehr alles nachgeholt werden, was in acht Jahren staatlichen 
Drills versäumt wurde. Der „Lehrbub“, der tagsüber in der 
Fabrik oder auf dem Bauplatz schaffen muß, kommt am 
Abend ermüdet in den Lehrkursus und kann meist nur müh 
sam dem Qedankengang eines Redners folgen. Und doch 
mußte und muß die Aufgabe gelöst werden. Geschichtliche 
und kirchliche Legenden, die den jungen Menschen an der Er 
kenntnis seiner Klassenlage hinderten, wurden kritisch be 
sprochen. Die Binde anerzogener Vorurteile wurde ihm vom 
geistigen Auge genommen und der Weg gewiesen zu wissen 
schaftlichem Erkennen der Natur und der Gesellschaft. Be 
sondere Schutzkommissionen und Beschwerdestellen wurden 
errichtet, um die Durchführung der gewerblichen Jugend 
gesetze zu überwachen. In den Lehrlingen wurde das Be 
wußtsein geweckt und wachgehalten, daß es eine Schande für 
sie sei, sich von dem Unternehmer um die kargen Vorteile der 
verkürzten Arbeitszeit prellen zu lassen. Als unsere Agitation 
Erfolge zeigte und bald die Aufmerksamkeit und heftige 
Angriffe christlicher Gegner hervorrief, erwies es sich als 
unbedingt notwendig, als Wehr und Waffen eine Jugend 
zeitung zu haben, und so gründeten wir im Frühling 1906 
die „Junge Garde“ mit dem Programm: 
„Schutz den jungen Händen gegen die Ausbeutung! 
Schutz den jungen Köpfen gegen die Verdummung!“ 
Im April erschien die erste Nummer des Blattes, das zuerst 
vier, dann acht Seiten stark war. Wir begannen das Unter 
nehmen mit dem Wagemut — die bedächtigen Alten nannten 
es Leichtsinn —, aber auch mit der Begeisterung der Jugend, 
Wir hatten natürlich keinen Pfennig Betriebskapital. Aber 
die Mannheimer „Volksstimme“ gewährte einen kleinen Kredit, 
und die jungen Genossen waren freudig bereit, unentgeltlich 
ihr Verbandsorgan zu expedieren und auszutragen. Nach 
Feierabend wurde stundenlang von ungeübten Händen ge 
falzt, gepackt und adressiert, und wenn auch nicht immer 
alles „klappte“, so ging es doch vorwärts: Die Auflage stieg 
bis nahe an 11 000. Aber die Ausgestaltung des Blattes ließ 
natürlich viele berechtigte Wünsche unerfüllt. Da wir kein 
Honorar zahlen konnten, drängten sich die Schriftsteller nicht 
sehr zur Mitarbeit.
	        
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