Full text: Lotte Hagedorn: ein Roman aus Alt-Berlin

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Damen hatten in der Ehe der Eltern unausgesetzten Anlaß zu 
Verstimmung und Aerger gegeben. Fra» Schlegels brave Mut 
ter konnte nun einmal die drei „nackigten Frauenzimmer", die 
ihr Mann ans seiner Junggescllenzeit als Heiratsgut mit in die 
Ehe gebracht hatte, nicht „riechen", während Herr Emil Anton 
Giesebrecht für diese Damen, deren Nasen und sonstige freundliche 
Erhöhungen schon damals scheußlich bestaubt waren, etwas übrig 
hatte. Mutter Giesebrecht konnte ste nicht leiden, weil ihr weib 
licher Instinkt ihr sagte, daß ihr Gatte täglich zu ganz überflüffigen 
Vergleichen zwischen ihrer eigenen Gliederpracht und den drei 
„Nackedeis" herausgefordert würde, Vergleichen, die, wie sie 
sich selbst ebenso ungerecht wie schonungslos cingestand, nicht zu 
ihren Gunsten ausfallen und ihren Lebensgefährten wahrschein 
lich auf abschüssige Bahnen treiben mußten. 
Frau Wilhelmine saß am Fenster, prüfte Bettlaken, Hand- 
und Staubtücher, Bezüge und Servietten auf ihr« bei jeder 
Wäsche zunehmende Durchsichtigkeit und blickte ans zu den Cha 
ritinnen, von denen zwei ihr den Rücken in seiner ganzen i^rtür- 
lichen Länge zuzudrehen für taktvoll hielten. Sie ließ ein mit 
W. S. in rotem Garn gezeichnetes Tischtuch in den vor ihr 
stehenden Korb fallen und blickte ein Weilchen vor sich hin. 
Dann sah sie unwillkürlich in den Fensterspion und sah im Spie 
gel ihr eigenes Bild. Und war zufrieden. Mit Recht. Na ja, 
ein bißchen füllig war sie ja im Laufe der Jahre geworden. Vier 
Kinder hatte sie geboren, von denen ihr nur noch zwei, die Marie 
Christiani und die Lotte Hagedorn, lebten. Die immer sitzende 
Lebensweise, die verdammten ReiSpuddingS, Flammeris und 
Schokoladenaufläufe, die immer mehr ausgedehnten „Viertel- 
stündchen" nach Tisch hatten ja unverkennbare Spuren zurück 
gelassen. Aber hatte sie etwa kein Recht, «in bißchen Fett anzu 
setzen? Mit fünfzig Jahren? Sie hatte doch nicht die geringste 
Verpflichtung und auch wahrhaftig nicht de» geringsten Ehrgeiz, 
in Gips und Naturzustand Pose zu stehen wie die drei da oben.
	        
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