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Damen hatten in der Ehe der Eltern unausgesetzten Anlaß zu
Verstimmung und Aerger gegeben. Fra» Schlegels brave Mut
ter konnte nun einmal die drei „nackigten Frauenzimmer", die
ihr Mann ans seiner Junggescllenzeit als Heiratsgut mit in die
Ehe gebracht hatte, nicht „riechen", während Herr Emil Anton
Giesebrecht für diese Damen, deren Nasen und sonstige freundliche
Erhöhungen schon damals scheußlich bestaubt waren, etwas übrig
hatte. Mutter Giesebrecht konnte ste nicht leiden, weil ihr weib
licher Instinkt ihr sagte, daß ihr Gatte täglich zu ganz überflüffigen
Vergleichen zwischen ihrer eigenen Gliederpracht und den drei
„Nackedeis" herausgefordert würde, Vergleichen, die, wie sie
sich selbst ebenso ungerecht wie schonungslos cingestand, nicht zu
ihren Gunsten ausfallen und ihren Lebensgefährten wahrschein
lich auf abschüssige Bahnen treiben mußten.
Frau Wilhelmine saß am Fenster, prüfte Bettlaken, Hand-
und Staubtücher, Bezüge und Servietten auf ihr« bei jeder
Wäsche zunehmende Durchsichtigkeit und blickte ans zu den Cha
ritinnen, von denen zwei ihr den Rücken in seiner ganzen i^rtür-
lichen Länge zuzudrehen für taktvoll hielten. Sie ließ ein mit
W. S. in rotem Garn gezeichnetes Tischtuch in den vor ihr
stehenden Korb fallen und blickte ein Weilchen vor sich hin.
Dann sah sie unwillkürlich in den Fensterspion und sah im Spie
gel ihr eigenes Bild. Und war zufrieden. Mit Recht. Na ja,
ein bißchen füllig war sie ja im Laufe der Jahre geworden. Vier
Kinder hatte sie geboren, von denen ihr nur noch zwei, die Marie
Christiani und die Lotte Hagedorn, lebten. Die immer sitzende
Lebensweise, die verdammten ReiSpuddingS, Flammeris und
Schokoladenaufläufe, die immer mehr ausgedehnten „Viertel-
stündchen" nach Tisch hatten ja unverkennbare Spuren zurück
gelassen. Aber hatte sie etwa kein Recht, «in bißchen Fett anzu
setzen? Mit fünfzig Jahren? Sie hatte doch nicht die geringste
Verpflichtung und auch wahrhaftig nicht de» geringsten Ehrgeiz,
in Gips und Naturzustand Pose zu stehen wie die drei da oben.