Full text: Lotte Hagedorn: ein Roman aus Alt-Berlin

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Ja! Frau Schlegel war mit dem Bilde, das sie da im Spie 
gel sah, ganz zufrieden. Denn sie war eine noch immer sehr 
hübsche Frau. Aus ihrem feingeschnittenen Gesicht strahlten ein 
paar liebe, gütige und kluge Augen. Die über manches, was ihr 
daö Leben oder richtiger ihr Mann an Enttäuschungen beschert 
hatte, mit sicherem Verstand hinweggeblickt hatten. 
Frau Schlegel öffnete die eine untere Scheibe der nach 
außen gehenden Fenster, befestigte den etwas quietschenden, 
altersschwachen Haken und ließ die warme Sommcrluft in den 
behaglichen Raum strömen. Dann prüfte sie ei» Bettlaken auf 
Herz und Nieren, hielt es gegen das helle Licht und ließ cs, in 
Gedanken versunken, in den Korb fallen. 
Ja! Ihre Augen hatten, weiß es der Himmel, in ihrer Ehe 
oft genug über manches hinwegsehen müssen. Wie zahllose Male 
hatte sie vermitteln und Schäden ausbessern müssen, die ihr 
Mann mit seinem Jähzorn, seinem Dünkel und Eigensinn an 
gerichtet hatte. Wie oft war'S ihr gelungen, Beleidigte zu be 
sänftigen, aber wieviel öfter sah sie erprobte und bewährte 
Freunde sich abwenden, die die törichte Rechthaberei ihres August 
Franz verletzt und gekränkt hatte. Manches Mal hatte es sich 
ja nur um Lappalien gehandelt, viele Mal« aber auch um wich 
tige, in sein und natürlich auch in ihr Leben einschneidende Dinge. 
So namentlich diese vertrackte Geschichte mit David Danieli... 
Und sie seufzte tief. Und trotzdem ihr in de» sechsundzwanzig 
Jahren ihres Zusammenlebens doch einigermaßen Gelegenheit 
geboten war, ihren Lebensgefährten zu beobachten... sie war bis 
zum heutigen Tage noch nicht dahintergekommen, ob all das bei 
ihm bösem Willen, Ueberhebung und lächerlichem Unfchlbar- 
keitSdünkel entfprang oder ganz einfach geistiger Beschränktheit 
oder richtiger ... Dummheit. ES fehlte ihm ja auch nicht an 
guten Seiten. Er war ihr eigentlich immer artig und respektvoll 
begegnet, er hatte den Mädchen — namentlich der begabten 
Lotte — die beste Erziehung angedeihen lassen und ihnen die
	        
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