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Ja! Frau Schlegel war mit dem Bilde, das sie da im Spie
gel sah, ganz zufrieden. Denn sie war eine noch immer sehr
hübsche Frau. Aus ihrem feingeschnittenen Gesicht strahlten ein
paar liebe, gütige und kluge Augen. Die über manches, was ihr
daö Leben oder richtiger ihr Mann an Enttäuschungen beschert
hatte, mit sicherem Verstand hinweggeblickt hatten.
Frau Schlegel öffnete die eine untere Scheibe der nach
außen gehenden Fenster, befestigte den etwas quietschenden,
altersschwachen Haken und ließ die warme Sommcrluft in den
behaglichen Raum strömen. Dann prüfte sie ei» Bettlaken auf
Herz und Nieren, hielt es gegen das helle Licht und ließ cs, in
Gedanken versunken, in den Korb fallen.
Ja! Ihre Augen hatten, weiß es der Himmel, in ihrer Ehe
oft genug über manches hinwegsehen müssen. Wie zahllose Male
hatte sie vermitteln und Schäden ausbessern müssen, die ihr
Mann mit seinem Jähzorn, seinem Dünkel und Eigensinn an
gerichtet hatte. Wie oft war'S ihr gelungen, Beleidigte zu be
sänftigen, aber wieviel öfter sah sie erprobte und bewährte
Freunde sich abwenden, die die törichte Rechthaberei ihres August
Franz verletzt und gekränkt hatte. Manches Mal hatte es sich
ja nur um Lappalien gehandelt, viele Mal« aber auch um wich
tige, in sein und natürlich auch in ihr Leben einschneidende Dinge.
So namentlich diese vertrackte Geschichte mit David Danieli...
Und sie seufzte tief. Und trotzdem ihr in de» sechsundzwanzig
Jahren ihres Zusammenlebens doch einigermaßen Gelegenheit
geboten war, ihren Lebensgefährten zu beobachten... sie war bis
zum heutigen Tage noch nicht dahintergekommen, ob all das bei
ihm bösem Willen, Ueberhebung und lächerlichem Unfchlbar-
keitSdünkel entfprang oder ganz einfach geistiger Beschränktheit
oder richtiger ... Dummheit. ES fehlte ihm ja auch nicht an
guten Seiten. Er war ihr eigentlich immer artig und respektvoll
begegnet, er hatte den Mädchen — namentlich der begabten
Lotte — die beste Erziehung angedeihen lassen und ihnen die