— 105 —
von halten soll. Jeßt liest er: aber die Stralcn der Gött
lichkeit, sie rühren weder den Geist, noch das Herz lebhaft
genug. Es ist wahr — denkt er — aus diesen Schriften
leuchtet etwas Ehrwürdiges, Heiliges, Göttliches hervor,
aber die vielen Widersprüche, die mir aufstoßen, — wohl
gemerkt , Ali denkt also — die unbegreiflichen Dinge, die
meiner Vernunft entgegenstehen, verdunkeln den Glanz bald
wieder. So denkt er, und ängstigt sich, und zweifelt, und
weiß noch mit genügsamer Gewißheit nicht, ob in diesem
Buche das Wort Gottes enthalten sey, ob eine göttliche
Schrift existire?
Allerdings, sso müßte es hergehen, wenn das geschrie
bene Wort Gottcs die einzige Regel unseres Glaubens
wäre. Wir müßtens bloß aus der göttlichen Schrift wis
sen , daß eö eine göttliche Schrift gibt; und dieses ist eine
wahre Unmöglichkeit. Wir müßtens bloß aus der gött
lichen Schrift wissen, welche die göttliche Schrift sey, und
dieses ist eine gleiche Unmöglichkeit. Z. B. Wie können wir
aus der Bibel allein mit Zuversicht schließen, daß die Evan
gelien des Markus und des Lukas acht, und jene des
Thomas und des B a r t h o l o m a u S u nacht sind? Scheint
nicht vielmehr die Wahrscheinlichkeit auf der Seite des
Buches zu stehen, das auf dem Titelblatte den Namen
eines Apostels aufzeigt? Jmgleichen, wo versichert uns
die Bibel, daß das Sendschreiben an die Römer ein ach
tes , jenes aber an die L a o d i; a e r , das noch jeßt herum
getragen wird, ein untergeschobenes Werk des heiligen
Paulus ist, da doch beydeö von ihm den Namen führt,
und der Apostel selbst den Kolossern berichtet*); er
habe an die Laodizaer geschrieben, nirgends aber des
Briefes an die Römer Meldung thut? Wir müßten's
endlich bloß aus der göttlichen Schrift wissen, daß dis
Evangelien und apostolischen Sendschreiben, die wir jeßt
unter den Handen haben, wirklich dieselben sind, welche
einst von den Evangelisten und Aposteln verfaßt worden,
und dieses ist die dritte Unmöglichkeit. Z. B. Sey'ö ge-
} Koloss. 4, 16.