Full text: Philosophie der Religion , 6 (06)

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Mündlichen Ueberlieferungen, und eines brunftigen Gebetes 
zum Vater des Lichts bewirkten. Und bey allem dem sind 
sie dennoch sehr oft verschiedener Meynungen gewesen. 
Aber diese Verschiedenheit der Meynungen, die sich mit 
der vorgegebenen Klarheit der Schristftellen :gar nicht ver 
tragt, ist in den mannichfaltigen Glaubenöpartheyen der 
Christen weit sichtbarer. Vom Anbeginne des Christen 
thums her entstund keine Secte, die nicht in der Bibel 
wollte gegründet seyn, und darauf beriefen sich alle so un 
zahlbare Sectenstifter, wo es auf die Beglaubigung ihrer 
neuen Lehrsätze ankam. Die Uneinigkeiten wahren noch im 
mer fort, und wie die verschiedenen Gemeinen den Ihrigen 
verschiedene Glaubensartikel vorlegen, so ziehen alle dafür 
den Beweis aus der Schrift, und noch dazu nicht selten 
aus demselben Texte. Wer wird uns so ein außerordent 
liches Phänomen genug erklären, wenn die Bibel allen, 
und allezeit deurlich redet? 'Darin sind gewiß die Wi 
dersprüche nicht enthalten, denn sie ist eine lebendige Quelle 
der Wahrheit, also irren und widersprechen sich die Ausle 
ger. O meine Herrenwie kann dieses möglich seyn? 
Wenn die Schrift für sich allen so klar und verständlich 
ist, warum gehen Sie rn Ihren Auslegungen so weit von 
einander ab? Und wenn Sie untereinander so wenig über 
einstimmen, warum getrauen Sie sich der Bibel eine so 
hefte Klarheit und so leichte Verständlichkeit zuzueignen? 
Man legt zwar die Schuld dieser Nichtübereinstimmung 
auf die Vorurtheile und Leidenschaften, auf den Mangel 
des Glaubens und der Frömmigkeit; allein nebst dem, daß 
dieses Vorwürfe sind, welche gegenseitig einer dem andern 
mit gleichem Rechte thun kann, und welche eben deöhalbcn 
nichts beweisen, so wäre ja nichts leichter, als mit Bey 
hülfe der so klaren biblischen Aussprüche die Irrenden zu 
belehren, und die Hartnäckigen zu überführen. Hernach 
hangen ja selbst in dieser Hypothese der achte Glaube und 
die wahre Frömmigkeit, ganz von dem richtigen Verstände 
der Schrift ab, denn wie sollte man gläubig und fromm 
seyn, ohne die einzige Glaubeuöregel recht zu verstehen?
	        
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