Full text: Philosophie der Religion , 6 (06)

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Der biblische Styl — sagt matt — ist doch ziemlich 
einfach. 
Sey es; aber mit aller seiner Einfachheit ist er den 
noch voll hebräischer Idiotismen, zweydeutiger Worte, zwei 
felhafter Ausdrücke, verwirrter und abgebrochener Säße; 
voll figürlicher Redensarten, ungewöhnlicher Gleichnisse, 
poetischer Bilder, rednerischer Tropen und Metaphern; voll 
nicht zusammenhangender Reden, halb oder gar nicht be 
antworteter Fragen und anscheinender Widersprüche. Da 
vermißt man die natürliche Folge der Dinge, dort die wirk 
liche Ordnung der Geschichte, da die zureichende Bestim 
mung des Objektes , dort die genügsame Unterscheidung des 
eigentlichen oder uneigentlichen Wortverstandes. Bald ge 
schieht der plötzlichste Uebergang von dem wörtlichen zum 
mystischen Sinne, von den sinnlichen zu den geistlichen Ver 
heißungen , von den zeitlichen zu den ewigen Strafen, von 
der ersten zur zweyten Ankunft des Messias; von der Er 
lösung des jüdischen Volkes ans der babylonischen Gefan 
genschaft , und Wiederherstellung des hierosolymitanischen 
Tempels, zur Erlösung des ganzen Menschengeschlechtes 
aus der Dienstbarkeit der Hölle, und Stiftung der christ 
lichen Kirche, von dem weltlichen Reiche Israels zum geist 
lichen des Heilandes; bald bezeichnet ein Ding das andere, 
und wo man am wenigsten eine Gleichheit vermuthet, trifft 
man Vor- und Nachbilder an. 
Es fiele nicht schwer, von allen diesen so mannichfalti- 
gen Quellen der Dunkelheit überzeugende Beyspiele die 
Menge anzuführen; aber ich rede mit Menschen, denen die 
Bibel als ihre einzige Glaubensregel bekannt genug ist, 
Und ihre Wahrheitsliebe, ihre Redlichkeit werden, wie ich 
hoffe, meinen Worten ohne Anstand Gerechtigkeit wieder, 
fahren lassen. 
In der That sie laugnen auch der Schrift alle Dun 
kelheit nicht ab, doch behelfen sie sich damit, daß sie die 
dunkelern Stellen gegen die klarern halten, und beym hellen 
Lichte dieser den ächten Sinn jener bestimmen, oder — be 
stimmen wollen»
	        
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