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Daß das ewige Leben der Beobachtung der Gebote
vorbehalten sey, damit sagen sie unö eben nichts neues.
Aber warum erkennen sie kein Gebot des Glaubens? Dro-'
her nicht eben derjenige den Ungläubigen mit dem ewigen
Tode, *) der dem Beobachter des Gesetzes das ewige Leben
verspricht? — Freylich ist der Glaube ohne die Werke todt,
**) aber was sind die Werke ohne den Glauben? Sind
sie besser, als ein Körper ohne Seele? Und es fallt schwer
zu entscheiden, welcher Irrthum schädlicher sey, dem todten
Glauben, oder dem unbeseelten Körper der Werke, mit
der Seligkeit zu schmeicheln. Dieses ist gewiß, daß der
innerliche Gräuel des Unglaubens, unter gewissen Bezie
hungen, jenen der snndlichen Handlungen weit übersteigt.
Wer sich wider ein Gebot der christlichen Sittenlehre ver
stößt, der gehorchet dem göttlichen Gesetzgeber nicht, und
beleidigt die allerhöchste Herrschaft desselben, jedoch ohne sie
zu laugnen; aber wer einen Saß der christlichen Glaubens
lehre als falsch verwirft, der ist nicht nur gegen den un
umschränkten Herrn ungehorsam — weil dieser auch den
Glauben bestehlt — sondern er laugnet ihm noch darüber
— wenigstens mit der That — die Wahrhaftigkeit weg;
folglich auch die unendliche Güte und Weisheit, woraus
sie hervorquillt; und murhet also Gott eine der größten
menschlichen Gebrechlichkeiten zu: das Vermögen zu betrie-
gen und betrogen zu werden.
Dazu kömmt noch, daß die Moral ganz auf den Glau-'
ben gebauet ist. Die Natur der Sache selbst erfordert es.
Die theoretischen Wahrheiten gehen immer vor den prakti
schen; und diese richten sich nach jenen. So flössen die
Ungereimtheiten aus dem Glaub.nöfysteme der abgöttischen
Griechen und Römer gar bald in ihre Sittenlehre, und
die Menschen machten sich eine Ehre daraus, alle die schänd
lichen Laster öffentlich auszuüben, welche den Göttern ans l
gedichtet wurden. Daher wird es allzu unwahrscheinlich,
daß man je wie ein Christ leben würde, wenn man nicht
*) Wer nicht glauben will / der wird verdammt werden. Mark. i(, 16.
2«k. 17.