Full text: Philosophie der Religion , 6 (06)

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noch etwas wenigerS seyn; und beydeS bleibt in Ansehung 
des Ausdruckes zweifelhaft. Ja, man sollte vielmehr we- 
gen des Zeitwortes müsset, eher im zweyten, als im 
ersten einen heimlichen Befehl vermuthen. Was sagt nun 
die Schrift dazu? hebt sie den Zweifel? — Keineswegs. 
Sie redet immer mit gleicher Dunkelheit, weil sie immer 
nur dieselbe Worte wiederholt, und nie einen klaren ver 
ständlichen Ausspruch thut, wie's einem Richter zusteht. 
Dazu kömmt noch, daß häufige und höchst wichtige 
Streitigkeiten auf Gegenstände fallen, wovon in der Bibel 
gar keine Meldung geschieht. Man streitet z. B. über die 
Göttlichkeit der Bücher Tobias, Judith, Weisheit, 
Ekklesiastikus, Machabaer. Man streitet 
über die Zahl, das Wesen, und die Form der Sakramente; 
über die Taufe: ob dazu das Eintauchen, oder das Auf 
gießen, und im ersten Falle, ein einmaliges oder ein drey 
maliges Eintauche?., ob von Seite des Täuflings der wirk 
liche, und von Seite des Täufers der wahre Glaube erfo- 
derc werde? Man streitet über das sogenannte apostolische 
Glaubensbekenntniß, ob eö wahrhaft von den Aposteln sey 
verfaßt worden, ob? Mit einem Worte, man streitet 
über hundert Glaubenswahrheiten und Sitteniehren, welche 
— wie wir'6 schon wissen — bloß durch mündliche Ueber 
lieferungen vom Herrn Christus durch seine Jünger auf 
uns gekommen sind, und man streitet abermals über diese 
Ueberlieferungen, weil sie bald den innerlichen und wesent 
lichen Glauben, bald die äußerliche und zufällige Kirchen- 
zucht betreffen; und weil sie manchen Gefahren bloßgestcllt 
sind, verloren oder verfälscht, und mit eiteln Meüschen- 
saßungcn vermengt zu werden, O Gott! wie vielfältige 
Zweifel, wozu die Bibel gar stillschweigt! 
Es soll uns nicht Wunder nehmen. Auch die weltlichen 
Gesetze schweigen manchmal, oder reden nur dunkel, und 
dann tritt die verjährte Gewohnheit ins Mittel,*) um daS 
(* Optima legum interpres est conjuetudo. 1. 37. ff. de leg. 
Imperator noster Severus rescripsit, in ambiguitatibus , quae 
ex legibus pro.fidscuntur, consuetudinem , aut reriam perpatu© 
simii'iter indicatarum auctoritatem, vim legis ©btinera debere» 
2. 3 8. ibid.
	        
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