Full text: Philosophie der Religion , 6 (06)

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Ein Richter, -er bevollmächtigt ist, in allen Fällen das 
Wahre von dem Falschen, daö Gewisse von dem Zweifel 
haften in der Lehre Jesu Christi zu unterscheiden; alle 
Uneinigkeiten aufzuheben; alle Streithandel zu schlichten; 
und damit also, entweder durch die Unterwürfiigkeit der 
gehorsamen, oder durch die Weghauung der widerspenstigen 
Glieder, die wesentliche Einheit des Glaubens und des 
Körpers der christlichen Kirche zu handhaben. Ein leben 
diger und redender Richter; denn wie könnte er sonst mit 
seinem Ausspruche die neu entstandenen Streitigkeiten der 
lebendigen und redenden Menschen beylegen? Ein höchster 
Richter, von dem keine Apellation gilt; denn wann würden 
sonst die Handel ein Ende nehmen? Ein unfehlbarer Rich 
ter, dem sich alle ohne Ausnahine mit Geist und Herzen 
unterwerfen müssen; alle, weil die Einheit nicht allgemein 
seyn kann, so lange Parteylichkeiten herrschen; mit Geist 
Und Herzen, weil sonst die Einigkeit nur äußerlich, poli 
tisch und verstellt wäre, die weder zum Glauben zureicht, 
noch lange dauert. 
Man sieht's ganz deutlich, daß so ein richterliches An 
sehen unmitteldar von Gott herstammen muß. Denn wo 
her könnte ein Sterblicher das Recht haben, den Gedanken 
seiner Brüder Gesetze vorzuschreiben? Und woher könnten 
alle Sterbliche zusammen berechtigt seyn, die göttliche» 
Dinge zu erforschen, zu beurtheilen, zu entscheiden? Er, 
der Unsterbliche, ist der unumschränkte Herr über alle Men- 
schcnherzen, wie über alle übrigen Geschöpfe; er redet, und 
die ganze Schöpfung gehorchet seiner Stimme. 
Erhebe dich nur, stolze Vernunft! bis zum höchsten 
Gipfel der Aufgeklärtheit. Deßwegen hast du noch keine 
Vollmacht von dem Allerhöchsten empfangen, die Glaubens 
zweifel zu entscheiden, ja nicht eimnal ein natürliches Ver 
mögen; denn beym Marksteine, wo das unübersehbare 
Feld der übernatürlichen Wahrheiten anfängt, da verlischt 
dein ganzes Licht. Und dennoch bist du vermessen genug, 
dich zur Schiedsrichterin auszuwerfen? Im Staate ist'S 
keinem Bürger erlaubt, die Gesetze eigenmächtig auszulegen, 
obwohl sie sich nur auf's '.natürliche und allen angeborne
	        
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