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Dergleichen Entschuldigungen mögen vor dem Richter^
stuhle des Herrn Rousseau rechtfertigen, der höchste un-
unerbittliche Richter, vor welchem wir alle, Rousseuen
und Voltairen, mit dem ganzen Schwarm ihrer An
hänger nicht ausgenommen, einst erscheinen werden, wird
sie gewiß nicht gutheißen. Er wird die vermessene Belei
digung seiner unendlichen Wahrheit und Weisheit, empfind?
sich rächen, und das wider die Ungläubigen — sie mögen
eö aus willkührlichen Eigensinne, oder nach dem Beyspiele
ihrer Ahnen seyn — schon langst gefällte Urtheil — „ Wer
nicht glauben will, wird verdammt werden " — ohne
Barmherzigkeit vollziehen lassem
Wenn eine Religion schon deßhalb gut und seligmachend
wäre, weil sie die Religion der Väter gewesen ist, so hatte
sich kein Götzendiener je bekehren sollen, und die Abgötter
wurden sehr vernunftmäßig gehandelt haben, da sie sich
mit aller Gewalt den aufgehenden Christenthums entgegen
setzten. Noch mehr: Die Griechen und Römer hätten von
jenen gottesdienstlichen Ceremonien und Gebrauchen, welche
die Natur und die Menschlichkeit äußerst beschimpften,
durchaus nicht abgehen sollen, denn sie waren ein wesent
licher Theil der Nationreligion, welche von ihren Vatern
durch öffentliche Gesetze bestätigt worden.
Der ehrliche Mann, welcher in seiner Religion mit
guter Meynung lebt, wer ist er? Gibt es Ehrlichkeit, so
lange man allen erkannten Naturpffichten nicht genugthut?
Besteht die gute Meynung mit einem gegründeten Zweifel
an der Wahrheit seiner Religion?
Nein! man kann kein ehrlicher Mann seyn, wenn
man die natürliche Pflicht vernachläßigt, die sicherste Re
ligion zu wählen. Man kann es weder mit Gott, noch
mit sich selbst, gut, ehrlich, und aufrichtig meynen, wenn
man wider das Gewissen, welches aufsteigende Zweifel von
Zeit zu Zeit beunruhigen, in der ererbten, oder auö irdi
schen Absichten ergriffenen Religion, hartnäckig verharrt.
Gesetzt, der JndifferentiSmus wäre nicht so unwahr
scheinlich', alö er es wirklich ist, so ließe sich'S doch nicht