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Hoffnung in dem Irrthume starken, damit sie desto weni
ger umsehen, und desto gerader dem Verderben zulaufen?
O Toleranz! wie treflich verträgst du dich mit der Men
schenliebe! Und dennoch betreiben die menschenfreundlichen
Philosophen, eine wie die andre, mit gleicher Hitze. WaS
sollen wir von ihnen anders denken, als daß diese Herren
nur den unedler« Theil deS Menschen, den Körper lieben;
den cdl.ru Theil hingegen, das lebendige Bild des Schöp
fers, die Seele, mit unversöhnlichem Hasse verfolgen?
Ja fürwahr, nur diesen Begriff kann das so lieblich
klingende Wort, Menschenliebe, in ihrem Munde aus
drücken, wie hingegen die Grausamkeit, deren sie uns deß-
Halben beschuldigen, in der Thar weder mehr noch weniger
ist, als die liebenswürdigste Redlichkeit, die zärtlichste Zu
neigung, und die aufrichtigste Begierde, alle, alle Men
schen hier und dort ewig glücklich zu machen.
Man schelte uns immerhin als gefchworne Feinde des
Nächsten, als unbarmherzige Verdammer unserer Brüder-
als steinharte Radamanthcn unseres Geschlechtes, die sich
nur immer mit Verdammungen herumschlagen, und einem
jeden, der anders denkt, mir lauter Stimine zuschreyen:
Du bist verdammt, du bist verdammt. Das
Zeugniß des Gewissens setzt uns über dergleichen Verlaum-
dungen hinaus. Wir sagen nur, und sagen es aus wah
rer Menschenliebe, aus christlicher Erbarmung, hüte dich,
du irrst, dieser Weg führt zur Verdammung, so wie wir
etwa unserm Freunde sagen: gib Acht, in diesem Gebürge
halten sich Räuber auf; diese üble Haushaltung wird dich
unglücklich machen; diese Handlung wird dir die Ahndung
des Landesfürsten und die gesetzmäßige Strafe zuziehen.
So mag auch Rousseau immerhin in die Welt
schreiben: „Gott bewahre cs, daß ich jemals den Men
schen den grausamen Grundsatz der Unduldsamkeit predige,
daß ich jemals sie anreize, den Nächsten zu verfluchen,
und zu ihresgleichen zu sagen, du wirst verdammt werden/") *)
*) Emile. T. Z. p. r»7-