Full text: Philosophie der Religion , 6 (06)

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dem er ein, oder zweymal ist ermahnt worden, sollst du 
fliehen *)". Die Frage bleibt also noch immer, welche 
aus so vielen christlichen Kirchen, die heute existiren, ist 
die wahre? Und o! wer kann zuverläßig sprechen? du nicht 
— du auch nicht — — du bist es! Selbst die Gelehrten 
zerstoßen sich darüber die Köpfe, und wenn schon manch 
mal stärkere Gründe für eine Partey da zu seyn scheinen, 
so weiß man dennoch nicht, ob man es der Gerechtigkeit 
des vertheidigten Handels, oder der Geschicklichkeit des Ver 
theidigers zumessen soll. Was ist also zu thun? 
— Die Augen zu öffnen, mein Beßter! und zu sehen. 
Die wahre Kirche ist noch heute das Haus Gottes, das 
auf einem Berge steht, der sowohl über die herumliegenden 
Berge der unchristlichen, als auch über die entstehenden 
Hügel der christlichen Religionspartheyen hervorragt, und 
sich folglich allen sichtbar darstellt, welche nur aufschauen 
wollen. Welche Beschimpfung der Allmacht! Die eiteln 
Menschenwerke sollen den ihrigen so ähnlich werden, daß 
gar kein Unterscheidungscharakter mehr übrig bleibe! Wenn 
der Affe eine menschliche Handlung aufs beßte nachahmt, 
fallt doch der Unterschied merklich in die Augen, und ist 
der Abstand des Geschöpfes von dem Schöpfer nicht unend 
lich weiter, als jener des Affen von dem Menschen? 
Nein! Es laßt sich keincsweges zweifeln, ob der all 
mächtige Gottmensch seine Kirche so einrichten konnte, daß 
sie für alle Jahrhunderte kennbar, und von allen nachge 
äfften Menschengcsellschaften, auf ewige Zeiten unterscheid 
bar bliebe. Wollte er es aber auch? — Gewiß, so ge 
wiß, als er wollte: „daß alle Menschen selig werden, und 
zur Erkenntniß der Wahrheit gelangen **)". Denn weil 
er einmal den rechten Weg zur Erkenntniß der Wahrheit 
und zur Seligkeit in seine Kirche gesetzt hat, so würde er 
im entgegengesetzten Falle den Endzweck wollen, und das dazu 
unentbehrliche Mittel n cht wollen; das heißt, er würde den 
Endzweck wollen, und zugleich nicht wollen, und folglich 
sich selbst widersprechen. Welcher Widerspruch weder an 
*) Tit. 3, io. **) i. Lim. 4.
	        
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