130 Die Probe
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Er war mittelgroß, leicht ergraut, und sah sehr
anständig aus.
Seine Frau hatte sehr vernünftige Eigenschaften,
aber auch einige Fehler. Sie wurde leicht heftig,
hatte eine Art und Weise sich zu geben, die beinah
gewaltthätig genannt werden konnte, war dick
köpfig und rachsüchtig bis aufs äußerste. Sie
war früher hübsch gewesen, dann war sie fett ge
worden, etwas rot, galt aber in Saint-Germain,
in ihrem Viertel, noch immer für eine sehr an
sehnliche Frau, die ein Bild der Kraft und Ge
sundheit bot, aber keinen liebenswürdigen An
blick.
Die Meinungsverschiedenheiten des Ehepaars
begannen fast immer schon beim Frühstück bei
gleichgiltigen kleinen Gesprächen. Dann waren
sie bis zum Abend, ja oft noch bis zum nächsten
Tag verzankt miteinander. Ihr einfaches, in be
schränkten Grenzen sich abspieleydes Dasein verlieh
auch den geringsten Dingen, die sie thaten, einige
Wichtigkeit, und jeder Gesprächsgegenstand wurde
sofort zum Streit. Früher war es nicht so ge
wesen, als sie noch das Geschäft hatten, das ihre
Zeit in Anspruch nahm, als gemeinsame Sorgen
ihr Herz bedrängten und sie in gemeinsamem In
teresse, das es zu wahren galt, sich eng aneinander
schlossen.