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weihung waren wir Jungen alle hinter dem girlanden
geschmückten ersten Wagen hergelaufen, in dem Vertreter
der Staats- und Stadtbehörden saßen und dann weiter
mit der Dampsstraßenbahn nach Durlach. Die Welt war
so festlich. Die Sonne strahlte. Der Tau glänzte auf
Wiesen und Büschen. Die Vögel zwitscherten. Dorf-
kirchengloeken läuteten. Wir hatten ein rasches Tempo.
Mutter, die ja feit so vielen Jahren fast immerzu am
Schreibtisch saß, nur so wenig ins Freie kam, strengte der
Eilmarsch doch sehr an. Ich merkte es; sie hatte die Hand
aus meine Schulter gelegt und brauchte sie immer mehr
als Stütze. Mutter war groß. In ihrer Jugend fei sie
eine Schönheit gewesen, hatte Vater stolz gesagt. Die paar
Bilder bestätigten es. Jetzt zählte sie etwas über vierzig
Jahre. Uns schien sie natürlich längst eine alte Frau; aber
auf dieser Wanderung war sie so ganz anders als sonst.
Sie sprach mit mir wie mit einem Vertrauten darüber,
wie man Vater behandeln müsse, damit er vor einer tiefen
Erschütterung bewahrt bleibe. Es lag eine rührende Komik
darin, denn es hörte sich fast so an, als fei Vater unser
gemeinsames Kind. Und als ich sie damit neckte, lachte sie.
Die Knie wollten ihr nicht mehr so recht mit. Sie mußte
öfters stehenbleiben. Fortgesetzt plauderte sie, erzählte aus
ihren jungen Jahren. Von einem wundervollen Maientag
wie dem heutigen. Da war sie im weißen Kleid zur Früh
messe gegangen - der Monat Mai gehörte ja der Mutter
Gottes -, und sie hatte einen Vergißmeinnichtkranz im
Haar getragen. Und das ganze Leben war ihr so reich und
golden und glückhaft erschienen. „Ich hab' immer so gern
gelacht und so gern gesungen!" sagte sie. „Mutter - du
hast gesungen?" Das konnte ich mir nun gar nicht vor
stellen: unsere ernste Mutter, die immer rechnete, war auch