4. Kapitel. Die Rechtslehre Kants.
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Zweck giebt es aber nur Einen: die Vernunft oder das vernünf
tige Wesen selbst, daher: du mußt das vernünftige Wesen, so
wohl dich selbst als andere vernünftige Wesen außer dir (hier
verwechselt Kant unmerklich die Vernunft, Denkgesetz, Konsequenz
und das vernünftige Wesen, die Persönlichkeit, das reale Sub
jekt) als Zweck erkennen. Von hier aus baut er denn die sitt
liche Welt auf, sie ist ihm ein Reich der Zwecke, indem die
sämmtlichen Vernunftwesen sich das zum Zweck setzen, daß jeder
sich selbst und jeder die Andern bloß als Zweck behandle. Nach
allem diesem ist das Gute, wie Kant selbst nachdrücklich hervor
hebt, kein ursprünglicher Begriff, den das Denken vorfände,
sondern ergiebt sich selbst erst als aus dem Denkgesetze abgeleitet. —
Eben so wird auch in der Rechtslehre zuerst die äußere Freiheit
als im Wesen der Vernunft, im Gedanken des Unbedingten, der
Allgemeinheit unv Nothwendigkeit enthalten aufgezeigt. Das
geschieht so: das Wesen der Vernunft ist, daß sie selbst, d. i.
ihr Gesetz der Nothwendigkeit, das ursprünglich und allein Be
wirkende im Handeln sey. Dazu ist es nöthig, daß der Wille
von Eindrücken der Außenwelt wirklich nicht bestimmt werde
(wie als Postulat daraus hervorgeht, daß er die Möglichkeit
haben müsse, nicht davon bestimmt zu werden — Freiheit des
Willens). Solcher Eindrücke der Welt sind nun zweierlei: das
im Innern erweckte Begehren und die äußerliche Gewalt. Beide
muß das Denken überwinden, um das Unbedingte zu seyn.
Indem es das Erste fordert, ist es das moralische, indem das
Zweite, ist es das Rechtsgesetz. Moral ist daher innere Gesetz
gebung, Selbstzwang; Rechtsgesetz äußere Gesetzgebung, Ent
fernung äußerlicher Gewalt, Zwang Anderer"). — So wie *)
*) Nicht das Subjekt also, auf dessen vernünftiges, d. i. aprioristisches
Handeln es abgesehen ist, wird vom Rechtsgesetze gezwungen, wie bei der
Moral, sondern die Andern. So wechselt Vernunft, indem sie das moralische