Full text: Gottgesandte Wechselwinde

59 
zusammenbrach, soll sein Körper über und über zerstochen 
gewesen sein von den Stichen der Morphiumnadel. Eine 
Oual, von der wir Kinder keine Ahnung hatten, begann 
für den Ärmsten. Er hatte seiner Frau ein neues Gelübde 
abgelegt: das Narkotikum sich selbst abzugewöhnen, ohne 
eine Anstalt auszusuchen. Oft hörten wir Vater wimmern 
vor Schmerz. Er tat uns unendlich leid. Aber allmählich 
gewöhnten wir uns doch daran, daß er krank war. Nur die 
trübseligen Einschränkungen fochten uns Kinder immer 
schwerer an: es durfte kein Klavier gespielt werden, man 
durfte nicht singen, kaum lachen, und Taschengeld gab es 
auch nicht mehr, weil Mutter sparen mußte. 
Das waren graue Zeiten. 
Doch da man jetzt aus dem Haufe konnte, ohne zu fragen oder 
gefragt zu werden - alles drehte sich um Vater, der lange, lange 
Zeit hindurch zwischen Leben und Tod schwebte -, so suchte 
man die ungewohnte Freiheit nach Kräften wahrzunehmen. 
Ich habe es in jenem Jahr zum erstenmal so recht emp 
funden, daß unsere Familie fremd in der Stadt geblieben 
war, die doch unsere Heimat sein sollte, und ich fühlte die 
Kälte und Gleichgültigkeit so vieler Schulgenossen jetzt, 
da ich auf sie angewiesen war, sehr schmerzlich. Die anderen 
hatten alle ihren vertrauten Kreis. Ich war zu schüchtern, 
um mich anzubieten oder einzudrängen. So siel ich schließlich 
als williges Opfer denen zu, die mich haben wollten. Es waren 
die räudigen Schafe der Klaffe. Baldzähltc ichfelbstzu ihnen. 
Als ich der „Klaffenflock" war 
§)er liebenswürdigste unter den kleinen Strolchen, mit 
denen ich mich nach der Schule noch unendlich lange Zeit 
herumtrieb, gehörte gewissermaßen mit „zum Bau".
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.