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einmal in voller Schroffheit einander gegenüber, wenn auch nun
‚auf der gemeinsamen Grundlage, dass von dem historischen
Dasein der erfahrungsmässigen Welt, insbes, des Staats, aus-
gegangen und in erster Linie nicht der höchste Grund, sondern
das letzte Ziel alles Seins gesucht wird. Der alte Gegen-
satz des Idealismus und Materialismus wiederholt sich jetzt in der
Weise, dass die gesamte Entwicklung entweder einem sittlichen,
bezw. göttlichen Weltplan unterstellt wird (deutsche Geschichts-
philosophie: Fichte, Schelling, Hegel, Krause, Stahl) oder einem
das Kulturleben wie das Naturleben beherrschenden „biologischen“
Gesetz (französisch-englische Soziologie oder Sozialphilosophie der
„Sozialen Organismen“: Conte, Spencer etc.). Während dieser ganzen
Entwicklung sucht man fortwährend ein „allgemeines Staats-
recht“, d, h. ein allgemeingültiges Idealstaatsrecht,
aus den philosophischen Hauptgedanken zu deduzieren — feste
Grundsätze über die wahren Aufgaben des Staats (vgl. u. $ 2),
über die beste Regierungsform (Monarchie oder Demokratie:
vgl. u. 8 3. 4), über die ideale Gestalt des Staats (Volks-,
Nationalstaat oder Welt-, Menschheitsstaat).
III. Aber die ganze Betrachtungsweise ändert sich mit dem
allmählichen Durchdringen des Kantischen Hauptgedankens, dass
das alleinige Gebiet objektiver (wissenschaft-
licher) Erkenntnis das der sinnlich wahrnehm-
baren Welt, Erfahrungswelt (Natur und Geschichte)
sei, dass die Wissenschaft nur die Aufgabe habe, die ursächlichen
Zusammenhänge der äusserlich und psychologisch
erfassbaren Erscheinungen aufzuklären, Damit wird alle
metaphysische Betrachtung des Staats mit Hilfe über-
sinnlicher Vorstellungen, also auch der Begriff eines „allgemeinen
Staatsrechts“ in das Gebiet philosophischer Spekulation ver-
wiesen, Vielmehr lehrt die Erfahrung, dass die historisch ge-
yebenen Staatsbildungen notwendig verschieden, weil von
den jeweiligen Existenzbedingungen, Kulturbedürf-
nissen, Bildungsstufen der Völker abhängig sein müssen.
Es ist deshalb nur eine „allgemeine Staatslehre“ denkbar, welche
nicht eine Abstraktion der gemeinsamen und notwendigen