Full text: Grundriß zur Vorlesung über Allgemeine Staatslehre und Politik

AB 
II. Die unter I. gesonderten drei Hauptthätigkeiten werden 
in jedem rechtlich zeordneten Staatsgebilde praktisch. In ihrer 
einfachsten Form gestalten sich dieselben so, dass der Staat 
von einem einzigen Organ regiert wird, von welchem 
nicht nur die unteren Organe (Verwaltungsbehörden) eingesetzt 
werden, sondern auch die Gesetze erlassen und die Rechts- 
kontrolle (durch Einsetzung der Civil- und Strafgerichte und 
durch disciplinäre Ueberwachung der Verwaltungsbehörden) geübt 
werden, Aber eine derartige Staatsform (orientalische Monarchien, 
Fürstentum und Königtum des 17. u, 18. Jahrhunderts in Frank. 
reich, Deutschland, Italien) ist notwendig unvollkommen. In 
ihr fehlt die Sicherheit dafür, dass die gesetzlichen Normen in 
Uebereinstimmung mit der allgemeinen Rechtsüber- 
zeugung des Volkes erlassen und fortentwickelt werden. Vor 
allem aber kann hier die Rechtskontrolle ihre Hauptauf- 
gabe nicht erfüllen. In den unteren Instanzen würden die- 
selben Behörden, welche die Steuer-, Heeres-, innere Verwaltung etc. 
ausüben, auch zu prüfen haben, welche rechtlichen Grenzen dafür 
gelten, und ebenso würde die Regierungsgewalt (die Direktive_der 
Verwaltung) mit der Kontrolle der Rechtmässigkeit: der untern 
Verwaltung und der Kontrolle der Regierung selbst in der einen 
Hand des Herrschers vereinigt sein. Diese Aufgabe ist aber 
psychologisch unerfüllbar. "Thatsächlich müssen also in 
solchen Staaten die Eechtsschranken der staatlichen Gewalt fast 
wertlos werden. Die Aufsicht und überhaupt die Verwirklichung 
des Rechtsstaatsprinzips ist nur eine scheinbare. Die Staatsgewalt 
ist in Wahrheit eine „absolute“, alle staatliche Funktionen in 
sich vereinigende, Der Staat nähert sich praktisch dem Macht- 
staat, Willkürstaat, dem desvotischen Staat (0. 8 3 a. E.) 
an, wenn er auch von einem solchen (wo überhaupt keine recht- 
lichen Vorstellungen über die Rechte der Staatsgewalt ausgebildet 
sind) begrifflich zu trennen ist. 
Infolgedessen besteht in allen staatsbildenden Völkern das 
Bestreben, die staatlichen Thätigkeiten von einem Zusammenwirken 
mehrerer von einander unabhängiger Willensträger besorgen zu 
lassen. In plumper Weise wirkt in dieser Richtung schon das 
politische Nebeneinanderarbeiten mehrerer weiterer oder engerer
	        
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