Richard Schmidt, Staatslehre 10.
Il. Teil: Die verschiedenen Formen der Staatsbildung
|. Kapitel: Die älteren Staatsformen und die Grund-
lagen des modernen Staatensystems.
3 7. Das Verhältnis der Bedingungen und Aufgaben des
Staats zu seinen Verfassungsformen.
[. An und für sich macht sich in jedem Staatsleben der Antrieb
auf die Staatsgewalt geltend, sowohl die gemeinsamen Kultur-
aufgaben (durch Verwaltung) wie das Bedürfnis einer Verfassung
“durch Rechtsschutzeinrichtungen) zu befriedigen. Stünde also
jeder Staat isoliert da und befänden sich alle Teile seiner Be-
völkerung unter gleichen Lebensbedingungen, so würden sich die
Organe und Formen der Verwaltung, Gesetzgebung, Rechtskontrolle
allmählich und parallel entwickeln — nur in verschiedener Fein--
heit und Kompliziertheit je nach Ausdehnung, Reife, Bildungsgrad
des Volks (dies die Ausgangspunkte der meisten politischen „Uto-
pien“ und doktrinären Staatskonstruktionen), Anders unter den
historisch gegebenen Verhältnissen. Sie bringen es im Gegenteil
mit sich, dass im Leben jedes staatsbildenden Volks in verschiednen
Abständen und Entwicklungsphasen gewisse dringende Aufgaben die
übrigen in den Hintergrund drängen. Das ist einmal der Fall, wenn eine
zrössere Volksgemeinschaft gezwungen ist, sich im Kampf mit einer
andern zu behaupten. Hier wird es notwendig, die kleineren
Gruppen, die bisher ganz unabhängig oder doch selbständig inner-
halb eines grösseren (dezentralisierten, o. 8 2, II) Verbands existierten,
zur Einheit zusammenzuziehen und die Staatsgewalt von Schranken
der Verfassung zu befreien, damit alle Kräfte gegen. den äusseren
Feind verfügbar werden. Das gleiche befördert aber auch eine
ganz besonders heftige innere Krise, wie sie durch den Kampf
zweier Nationalitäten, Volksklassen, Religionsparteien zum Aus-
bruch kommt, indem sie die Ordnung des Staats von innen her
aufzulösen droht (8 5). Man kann also sagen: die Aufgabe der Er-