Full text: Grundriß zur Vorlesung über Allgemeine Staatslehre und Politik

Deutschland. zwischen dem Westen und Osten in vieler Hinsicht 
hervortritt. Ebenso muss in Ansatz gebracht werden, dass mehr 
oder minder leidenschaftliche, bewegliche, veränderungssüchtige 
oder nüchterne, konservative Temperament eines Volkes, die mehr 
oder minder grosse Unternehmungslust (Willenskraft) oder Bildung 
(Intelligenz) eines Volkes, — ähnlich auch die verschiedene 
Religiosität, kirchliche Erziehung eines Volkes (Glaubenseinheit 
in Frankreich, verbunden mit den schroffen Gegensätzen eines 
intoleranten hierarchischen Katholizismus und des völlig religions- 
losen Radikalismus); andrerseits seit dem 16. Jh. Glaubensfreiheit 
in Deutschland mit zahlreichen vermittelnden Uebergängen) und 
hiermit wiederum steht in Verbindung der verschiedene Einfluss, 
den diese verschiedenen Bedingungen des religiösen Lebens auf 
das Pflichtgefühl ausüben (von Bedeutung z.B. bei der Abschätzung 
des staatlichen Berufsbeamtentums und des Masses von Macht, 
das ihm eingeräumt wird). 
2. Kapitel: Zentralisierung und Dezentralisation. 
S 13. Selbstverwaltung und Zentralisierung. 
Die Einsicht in die Entstehung des heutigen Staatensystems 
macht in erster Linie verständlich, aus welchen Gründen sich auch 
im 19. Jh. noch die Staaten durch ihre verschiedne Gliederung 
unterscheiden. Während manche Staaten die Neigung haben, 
möglichst alle politischen Funktionen in der Hand. eines einzigen 
Staatsverbandes (des Staats schlechthin) zu vereinigen (Zentralisierung), 
haben andere dieselben auf mehrere höhere und niedere selbständige 
(durch eigene Organe thätige) Verbände (Land-, Stadtgemeinden, 
Provinzen, Kolonien, Gliedstaaten, Gesamtstaat [Reich]) — verteilt 
(Dezentralisation, Selbstverwaltung, selfgovernment im weitesten Sinn 
0. $ 1, II). Am Anfang des 19. Jh. hielt man die Selbstverwaltung 
für etwas anomales, der besonderen Erklärung. bedürftiges und 
künstlich gemachte Erscheinung. Die Geschichte lehrt im Gegen- 
teil, dass sie den normalen und natürlichen Zustand darstellt. 
Denn die Natur der Sache bringt es mit sich, dass Nationen, die 
in manchen Seiten des öffentlichen Lebens (bes. militärische
	        
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