Full text: Grundriß zur Vorlesung über Allgemeine Staatslehre und Politik

über England), — die der modernen Bundesstaaten dagegen durch 
Zusammenschluss von unten nach oben erfolgt ist, ist historische 
Zufälligkeit. Auch ein Bundesstaat kann so entstehen, dass sich 
aus einem Einheitsstaat formell bisher unselbständige, aber ge- 
schichtlich, national, geographisch eigenartige Teile durch Gesetz- 
gebungsakt loslösen. und zu Gliedstaaten innerhalb eines Staaten- 
staats werden. Dies ist das Ziel der beiden von Gladstone 1886 
und 1893 eingebrachten Gesetzentwürfe zu Gunsten einer „eigenen 
Verwaltung und Regierung“ („home rule“) von Irland (insbes. eines 
eigenen Parlaments mit besonderer Kompetenz; ebenso die ent- 
sprechenden Bestrebungen in Böhmen, Spanien). 
b) Ein Gegensatz liegt auch nicht darin, dass der. Staat 
(event. geteilt in Bundes- und Gliedstaat) die nationalen, dem 
Interesse des ganzen Volks gemeinsamen Bedürfnisse, — die Ge- 
meinde die lokalen (aus dem Zusammenleben der Bürger und 
der Nachbarschaft der Grundstücke sich ergebenden) Interessen 
befriedigt. (Rosin). Auch an staatlichen Aufgaben (Rechtspflege) 
besteht zunächst ein Interesse der Gemeindeangehörigen, auch die 
Gemeindeangelegenheiten (z. B. Armenpflege) werden im Hinblick 
auf die Volksgesamtheit geordnet. Die Funktionenteilung zwischen Ge- 
meinde und Staat ist ebensowenig prinzipiell wie die zwischen 
Gliedstaat und Bundesstaat, hängt von. der Frage ab, ob einheitl. 
Durchführung wünschenswert, ob sie bei dem vorhandenen kommu- 
nalen etc. Beamtenpersonal möglich. 
c) Auch darin liegt endlich kein sicherer Gegensatz, dass Bundes- 
staat und Gliedstaat eine souveräne Staatsgewalt, wenn auch unter 
einander geteilt, die Gemeinde keine Souveränetät besitzen 
(Waitz.). Der Begriff der Souveränetät ist in dem urspr. Sinn 
seines Schöpfers (des Franzosen Bodinus 1576) als puissance absolue 
et perpetuelle, also als einzige unbeschränkte Vollgewalt 
(im Gegensatz zur verfassungsmässigen Beschränkung, zu Selbst- 
verwaltung und Staatenverbindung), angesichts der modernen Ent- 
wicklung jedenfalls nicht mehr verwertbar. Sie kann also nur 
noch bedeuten eine Gewalt, die im Verhältnis zu einer andern die 
höhere ist, d. h. diejenige, welche in ihrer Thätigkeit nur durch 
ihren eigenen Willen, nicht durch einen andern staatlichen Willen 
bestimmt wird, und zeigt sich hauptsächlich in der Fähigkeit, das
	        
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