Full text: Grundriß zur Vorlesung über Allgemeine Staatslehre und Politik

eigne staatliche Wirkungsgebiet gegen andere staatliche Organismen 
zu erweitern und zu beschränken (sog. Kompetenz - Kompetenz). 
Die Souveränetät in diesem Sinne besitzt zwar die Gemeinde nie. 
Aber auch im Bundesstaat könnte sie nur entweder der Gesamt- 
staat besitzen (so in Amerika mit dem Sklavenkrieg 1862—1865 
zum Durchbruch gekommen : Dekretierung der allgem. persönlichen 
Freiheit durch die Union im Widerspruch mit den Südstaaten, ob- 
wohl dies in der urspr. Bundesverfassung nicht als Gesetzgebungs- 
gegenstand anerkannt war, — in Deutschland, — in der Schweiz [?]) 
oder die Einzelstaaten (so in Oesterreich-Ungarn), wo überhaupt 
keine Bundesgesetzgebung vorgesehen ist; hier wäre Kompetenz- 
erweiterung des Bundes nur durch neuen Vertrag der Staaten möglich. 
Insoweit ist also die Souveränetät keine Eigenschaft, die jedem 
Staat allgemein zukommt. Nur haben freilich die Gliedstaaten 
vor der selbstverwaltenden Gemeinde und Provinz das voraus, dass 
sie selbst durch ihre Organe an der Bildung der obersten 
Bundesstaatsorgane teilnehmen, also Teilhaber der Regierungs-, 
bezw. Gesetzgebungsgewalt des übergeordneten Staatenstaats sind; 
denn der deutsche Bundesrat, der amerikanische Senat besteht aus 
Abgeordneten der Gliedstaaten als solcher. In diesem Sinn kann 
man sagen, dass die Souveränetät des Reiches indirekt und 
anteilig auch den Gliedstaaten zusteht. 
d) Im übrigen kann ein Gegensatz zwischen Gliedstaat und 
Gemeinde nur in der Beziehung zuauswärtigen Staaten gefunden 
werden, — nämlich darin, dass ein „Staat“ mit auswärtigen Staaten 
selbständigen, völkerrechtlichen Verkehr (Gesandten- 
bestellung, Vertragsschluss etc.) übt. Der Begriff Souveränetät 
hat also im Sinn einer völkerrechtlichen Souveränetät 
andere Bedeutung als im staatsrechtlichen Sinn. Die amerika- 
nischen Staaten haben beispielsweise diese Souveränetät nicht. 
Der Souveränetätsbegriff ist somit überhaupt vieldeutig und wissen. 
schaftlich unbrauchbar (vgl. auch 8 18).
	        
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