Full text: Grundriß zur Vorlesung über Allgemeine Staatslehre und Politik

Richard Schmidt, Staatslehre 20. 
3. Inder nordamerikanischen Union nähert sich die 
Demokratie der. Monarchie durch die Stellung des Präsidenten, der 
von Wahlmännern der KEinzelstaaten auf 4 Jahre gewählt und mit 
bedeutenden selbständigen Regierungsrechten: Ernennung der Ressort- 
chefs (Staatssekretäre), Gesandten mit Beirat des Senats, Oberbefehl — 
über alle Streitkräfte ausgestattet ist. 
4, Andrerseits hat sich die konstitutionelle Monarchie 
Englands ohne Aenderung ihrer äussern Organe in eine parla men- 
tarische Monarchie, in Wahrheit eine Demokratie dadurch umge- 
wandelt, dass die Volksvertretung die Minister aus der jeweiligen 
Majoritätspartei bildet. Das Ministerium wird dadurch der geschäfts- 
führende Ausschuss des Parlaments (wie die Archonten der des 
Rats, die römischen Magistrate der des Senats). Nach englischem 
Muster ist die Verfassung Griechenlands und Belgiens (1831) 
eingerichtet worden, Ihm ist aber auch: 
5. Frankreich vorübergehend schon 1848 —51, definitiv 1870 
(Verfassung von 1876) gefolgt. Das Verhältnis des französischen 
Präsidenten, des Senats und Abgeordnetenhauses (chambre des 
A6putes) entspricht nicht dem zwischen den drei dem Namen nach ent- 
sprechenden amerikanischen Organen, sondern dem von englischem 
König, Oberhaus und Unterhaus; m. a. W. Senat und Abgeordnete 
regieren durch das Ministerium je nach ihren Parteien ; der Präsident, 
selbst gewählt von der Nationalversammlung (der beiden Kammern) 
ernennt die Minister nur formell, nicht thatsächlich (wie der Präsident 
der vereinigten Staaten); er hat nur die puissance moderateur, d, h, 
das Recht (wie der englische König) durch Ausschreibung von 
Neuwahlen die Parlamentsmajorität auf die Probe zu stellen („ans 
Volk zu appellieren“). 
Hiernach rechnen alle modernen Verfassungsstaaten 
mit der Ausserlich gleichen Organisation: einem Staatshaupt 
(Ausn. die Schweiz) und einer Volksvertretung in zwei 
Körperschaften. Verschieden ist nur die Rechtsstellung des 
Staatshaupts (Erbfürst, Präsident $ 21), die Zusammensetzung der 
Häuser (8 22) und vor allem die rechtliche Verteilung der M acht- 
verhältnisse zwischen den drei Organen. Letzteres wird 
am deutlichsten an dem Gegensatz der beiden europäischen Haupt- 
formen: des Konstitutionalisemus und Parlamentarismus.
	        
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