Full text: Grundriß zur Vorlesung über Allgemeine Staatslehre und Politik

Das Proportionalsystem, obwohl logisch von dem Standpunkt 
der „demokratischen“ Parlamentsreform aus gerechtfertigt, erweist 
doch an den Konsequenzen die Unrichtigkeit dieses Standpunkts. 
Es ist schwer oder gar nicht durchführbar, denn es liesse sich 
folgerichtig durchführen nur, wenn die Wahl nicht in Wahlkreisen, 
sondern im gauzen Wahlgebiet (dem ganzen Staat) zugleich vor- 
genommen würde, da nur so das VUebrigbleiben von Stimm: 
komplexen, die der Wahlquotienten nicht erreichen und deshalb 
unvertreten bleiben, möglichst vermieden würde. Eine derartige 
Wahl durch den ganzen Staat aber wäre mit unüberwindlichen 
technischen Schwierigkeiten verknüpft, falls das Staatsgebiet nicht 
sehr klein ist (Schweizer Kantone). Sie würde das Band zwischen 
Wählern und Kandidaten lockern und die Tyrannei der Partei- 
leitung über den Wähler in bedenklicher Weise steigern. Selbst 
wenn aber die Proportionalwahl sich durchführen liesse, würde sie 
auf die politische Thätigkeit des Parlaments unheilvoll wirken; 
denn sie würde ein kontinuierliches Gleichgewicht aller Parteien 
im Parlament befördern, das seinerseits zu einer Stagnation der 
politischen Masnahmen führen, den heilsamen Wechsel des Ueber- 
gewichts bald der einen, bald der andern Partei, — das natur- 
gemässe Mittel des Fortschritts — verhindern müsste. 
Ganz entsprechend wie auf die Abgrenzung und auf die Art 
der Ausübung des aktiven Wahlrechts wirkt die verschiedne 
Grundauffassung des Parlaments auch auf das Verhältnis 
zwischen Wählern und Gewählten, Abgeordneten, ein. 
Ist die. Volksvertretung ein selbständiger Ausschuss des Volks, 
so handhaben die Abgeordneten ihr Mandat selbständig nach 
pflichtmässigem Ermessen (so ausdr. ausgespr. von der deutschen 
Reichsverfassg.). Ist dagegen für das Parlament der Gedanke 
massgebend, dass dasselbe wie ein Vertreter des Volks- 
willens wirksam werden soll, ‚so , wird durch die Wahl das 
Mandat als ein imperatives mit der Massgabe erteilt, dass 
der Abgeordnete bei Erfüllung seines Amts nur das Partei- 
interesse der Wähler im Auge haben soll. Auf diese Befestigung 
der Herrschaft der Wähler, bezw. der Partei über den Abge- 
ardneten ist vor allem die Entwicklung der englischen Parlaments- 
praxis gerichtet. Als Mittel hierzu dient vor allem die möglichste
	        
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