Auch unter den russischen Bauern kann man es beob-
achten, dass Familien, welche unter das Hofgesinde aufge-
nommen werden, sich des Bodenbaues entwöhnen, und dass
ihre Kinder überhaupt keinen Pflug mehr anzufassen ver-
stehen. Um so weniger kann man bei einem erwachsenen
Juden, dem die ländlichen Beschäftigungen fremd sind, jenes
Erfahrungswissen, jene Handfertigkeit, Ausdauer und Kraft
erwarten, welche das Leben auf der Scholle und die kom-
plizierte Bewirtschaftung eines bäuerlichen Anwesens ver-
langt. Es scheint daher der Schluss nahezuliegen, dass, um
die Juden für den Ackerbau geneigt zu machen, das aus-
sichtsvollste Mittel hierfür eine von Jugend auf geübte Ge-
wöhnung derselben an diese Art von Beschäftigung wäre...
Dann wird diese ökonomische Frage in eine zweite Frage
übergehen, nämlich in die nicht minder wichtige Frage einer
speciellen Erziehung der Juden, sofern man darunter die
Errichtung von Unterriehtsanslalten versteht, in denen die
Juden praktische Kenntnisse im Ackerbau und in den Hand-
werken erwerben könnten, in dem Masse und dem Geiste,
als das: Wohl des Landes und der Nutzen der Juden selbst
dies erfordert . .
Im allgemeinen kann man sagen, dass in Berditschew
die Grundlage einer guteu bürgerlichen Ordnung noch nicht
gelegt ist. Ein wesentliches Hindernis hierbei bildet die
Armut und Unureinliehkeit eines betrüchtliehen Teils der jü-
dischen Bevólkerung, innerhalb deren man gegen 5000 Fa-
milien mit etwa 25000 Seelen zühlen kann, die von einem
Tage zum andern, ja geradezu von der Hand in den Mund
leben. Sie wohnen sehr eng neben einander, häufig etliche
Familien in einem oder in zwei kleinen Zimmern einer bau-
fälligen alten Hütte, so dass zur Nachtzeit, wenn alle Be-
wohner daheim sind, auf dem Fussbodeu kaum ein freies
Fleckchen zwischen den Schlafenden übrig bleibt. Viele
dieser Häuser sind durch Korridore in etliche kleine Quar-
tiere geteilt, in denen die Mieter ihre kleinen Manufakturen
oder Werkstätten, als. da: Wachsschmelzen, Lichtfabriken,
Gerbereien einrichten und der Familienvater mit den Sei-
nigen nicht nur arbeitet, sondern auch inmitten der übel-
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