Beschränkungen auferlegen? . , . Nicht durch Bedrückungs-
massregeln gegen die jüdischen Gewerbtreibenden , nicht
durch gewaltsames Anhalten zu landwirtschaftlichen Beschäf-
tigungen, nicht dadurch, dass man ihnen die Schläfenlocken
beschneidet oder ihren Weibern verbietet, sich den Kopf
zu rasieren, wird man die Juden den übrigen Staatsbürgern
gleich machen — solche Mittel sind nur in Zeiten der
Barbarei und der Rohheit möglich und begreiflich. Der
Gesetzgeber muss tiefer eindringen in das Wesen der gesell-
schaftlichen Eiterbeulen, die ein ganzes Volk oder ein ganzes
Land befallen. haben. Mit äusserlichen Mitteln vermag man
nur schwer ‚solche Krankheiten zu heilen, deren Wurzeln
tief im Organismus verborgen sind .
Uns vor Augen steht das Beispiel eines Nachbarstaates,
in dem die Judenfrage ganz dieselben Erörterungen hervor-
gerufen hat, in dem aus den verschiedenen Provinzen häufig
Klagen. der Landbevölkerung über die jüdischen Händler
und Wucherer ertönten, in dem gleichfalls gegen sie be-
drückende und sie in Handel und Gewerbe beschränkende
Massregeln ergriffen wurden, und in dem die Regierung
schliesslich zu durchaus anderen Massregeln griff und einen
anderen Weg einschlug, der einer gebildeten christlichen Nation
würdiger war Das Beispiel Preussens ist für uns ganz
besonders wichtig, weil wir hier die jüdische Bevölkerung
über einen grossen Raum verbreitet und überdies auch noch
auf verschiedenen Bildungsstufen antreffen, Aus den offi-
ziellen Berichten, die dem Parlament von der Regierung im
Jahre 1847 vorgelegt wurden, kann man klar sehen, in
welchem Masse die freien Einrichtungen auf die jüdische
Bevölkerung wohlthätig eingewirkt haben, und wie deutlich
erkennbar diese Erfolge je nach dem Grade der Erweiterung
der bürgerlichen Rechte der Juden gewesen sind. Die Pro-
vinz Posen, deren jüdische Bevölkerung uns in vielen Dingen
an die Juden unseres westlichen Reichsgebiets erinnert,
bietet uns das schlagendste Beispiel dafür, welche gewaltigen
Fortschritte diese Bevölkerung sowohl in sittlicher als auch
in gesellschaftlicher Hinsicht gemacht hat, nicht in Folge
von Zwangs- und Bedrückungsmassregeln, sondern im Gegen-
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