Full text: Die Juden in Russland; Urkunden und Zeugnisse Russischer Behörden und Autoritäten

keit zeihen; man wird mir sagen, dass ich blind und taub 
sel, wenn ich, der ich mitten in einer aufgeklärten und. von 
Menschenliebe beseelten Gesellschaft lebe, ‚die alltäglichen 
Thatsachen nicht höre und sehe, die sowohl Liebe zur 
Aufklärung als auch Wohlthätigkeitssinn beweisen, That- 
sachen, die wahrlich grossartiger sind als jene Thatsache, 
die ich anführte, als ich von einer unbedeutenden jüdischen 
Winkelschule sprach. Ich weiss, dass Viele sogar beleidigt 
sein werden durch diesen Vergleich, diese Parallele. „Wie 
kann man nur,“ wird man sagen, „die sittlichen. Eigen- 
schaften eines — man höre und staune! — semitischen, 
abgelebten Volkes mit. unseren sittlichen Eigenschaften ver- 
gleichen! Welche unerhörte Kühnheit!“ 
Alles das weiss ich ; nichtsdestoweniger aber habe 
ich den Mut, auszusprechen, was mir als wirkliche Wahr- 
heit erscheint . . . 
Unwillkürlich komme ich nochmals auf die Juden zu 
sprechen. Ihr Maimonides behauptet, gestützt auf münd- 
liche Überlieferung, dass das Wort Sohn im Alten Testa- 
ment auch so viel wie Schüler bédeute, und die Synagogen- 
schule der Juden oder Talmud-Tora gleichbedeutend sei 
mit Studium des Gesetzes. Und so fliessen Lesenlernen 
und Gesetz, Sohn und Schüler, Unterricht und Erziehung 
in der Vorstellung des alttestamentarischen Menschen in 
eins zusammen — und diese Gleichfórmigkeit ist in meinen 
Augen die edelste Seite des Judentums. 
Ozeeexas racMyrp-ropa. — Coummenisz H. IL Ilmporosa. — Die 
Talmud-Tora in Odessa. — Werke N. J. Pirogows. St. Petersburg, 1887, 
Bd. II, S. 54, 57 n. 62. 
IL In der That, von welcher Seite wir aueh unsere 
Juden betrachten, es giebt durchaus keinen vernünftigen 
Grund, weshalb wir ihnen nicht dasselbe wünschen sollten, 
was wir auch uns selbst wünschen: Achtung vor den Über- 
zeugungen des Gewissens, vor der Persónlichkeit, den Ver- 
diensten eines jeden; es giebt keine Ursache, weshalb wir 
nieht wünschen sollten, dass die Juden mit uns gemeinsam 
unserem gemeinschaftlichen Vaterlande Nutzen bringen und 
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