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diesen füufundzwauzig Jahren irgend eine besondere Ver-
anlassung gegeben, dass man wieder Scheiterhaufen fiir sie
errichten muss? Irgend etwas ist in der That geschehen,
aber nur nicht mit den Juden. Die Juden haben während
dieser Zeit nicht nur nicht den geringsten Anlass zur Intole-
ranz gegeben, — im Gegenteil, sie haben die energischsten
sittlichen und geistigen Anstrengungen gemacht, um das
Judentum auf einen neuen Weg zu führen, und sie besitzen
sogar ein vollständiges Programm für die Verschmelzung des
jüdischen Fortschritts mit den Grundlagen des allgemeinen
menschlichen Fortschritts . .
Es ist interessant, dass aller Unsinn, alle Heulmeierei
und all die Rufe nach rücksichtsloser Verfolgung gerade in
dem Moment sich vernehmen liessen, da man offenbar allen
Anlass hatte, sich über dieses von den Juden aufgestellte
fortschrittliche Verschmelzungsprogramm zu freuen und die
Verwirklichung desselben zu fördern.
Die Sache liegt aber so, dass während dieser fünfund-
zwanzig Jahre im russischen Leben selbst eine geistige
Richtung zu Tage getreten ist, die früher nicht bemerkt
worden war. In der Gestalt des Fürsten Meschtscherski
und seiner zahlreichen Mitkämpfer ist der fossile Mensch
erstanden, der sich nicht nur als den Herold der Wahrheit
und des Fortschritts ankündigte, sondern auch seit nunmehr
fünfzehn Jahren sich ohne Unterlass um die Verbreitung
seiner fossilen Anschauungen bemüht. Diese Erscheinung,
die in der That fir Russland etwas Beschiimendes hat,
nachdem es die Leibeigenen befreit und die öffentliche Ge-
richtsbarkeit bei sich eingeführt hat, wird vielleicht noch
bemerkenswerter durch die Gleichgültigkeit, mit der sich der
bessere Teil der Gesellschaft und der Presse ihm gegenüber
verhilt, als ob auch wir, die wir doch erst jüngst zum Leben
erwacht sind und die Befreiung der Leibeigenen verwirklicht
haben, ebensolche Fossilmenschen geworden würen, die für
moralische und intellektuelle Verkehrtheiten keine Empfin-
dung besitzen.
Quepkit pyecrof suum. — Pyceram Morer. — Skizzen aus dem
mussischon Leben. — Der russische Gedanke. 188%, No. 10, S. 190,
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