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wenn er die Juden misshandelt. Werden wir in unserem
blinden Eifer nicht zu Vollstreckern der Pläne einer bös-
willigen Verschwörerrotte? Arbeiten wir ihr nicht gerade-
zu in die Hände? ... Das ganze Leben des Einzelnen,
wie der menschlichen Gesellschaft besteht aus lauter ,,Fragen*,
überall sind Mängel vorhanden, und alles strebt nach dem
Bessern und Höhern. Das Leben des Individuums wie die
Geschichte des Volkes ist ein fortwährender Kampf. Ist es
darum vernünftig, eine Sache zu überhasten, die der ru-
higen und reiflichen Überlegung, des umsichtigen und gründ-
lichen Studiums bedarf? Keine feierlichen Reden, keine
Erregung der Gemüter, keine abstrakten Principien sind er-
forderlich, sondern praktisch durchführbare Vorschläge, Mass-
nahmen, die dem Staate nutzen und der wirklichen Lage
der Dinge entsprechen . . . Statt. dass man sich mit ge-
ballten Fáusten auf die Juden stürzt, thüte man besser, zu-
erst nachzusehen, ob nicht in unserer Gesetzgebung irgend
eine Ursache vorhanden ist, die jenes Übel erzeugt, welches
sowohl den Individuen wie dem Staate verderblieh ist...
Man wirft den Juden die Ausbeutung des Volkes vor,
dem sie mittels der Branntweinschenke die Lebenssiifte
aussaugen. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die eigen-
tümliehe Lage der Juden, wie sie sieh historisch in dem
ehemaligen Herrschaftsgebiet der Polen ausgebildet hat, sie
vorzugsweise zu ,Ausbeutern* gemacht hat. Die polnische
Herrschaft hielt die Volksmassen in sklavischer Unterjochung
fest. Zwischen dem Schlachziz und dem Volke stand der
Jude als der einzige Gewerbtreibende da. Er bildete das, was
man sonst den Mittelstand nennt. Den Juden wurde alles in
Pacht gegeben . . . Man behandelte sie wie die Hunde,und doch
hing alles von ihnen ab. Dienationale Abgeschlossenheit rief
unter den Juden des westlichen Reichsgebiets eine gewisseSo-
lidarität hervor, doch darf man nicht glauben, dass sie nun
etwa ein sorgloses, üppiges Leben auf Kosten des ausge-
beuteten Volkes geführt hátten. Keineswegs! Giebt es ‘in
ihrer Mitte wirklich eine Anzahl mehr oder weniger wohl-
habender oder gar reicher Gewerbtreibender, so befindet
sich dafür die Gesamtmasse in einem Zustande äusserster