Full text: Die Juden in Russland; Urkunden und Zeugnisse Russischer Behörden und Autoritäten

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Grundprincipien des Rechts durchaus widerspricht, sich noch 
obendrein in den letzten Decennien als fast unkontrollierbar 
erwiesen hat. Die strenge Bewachung eines solchen Ansie- 
delungsgebietes wäre noch einigermassen möglich, wenn es 
noch keine Eisenbahnen und Telegraphen gäbe und die 
Handelsverbindungen zwischen den einzelnen Provinzen des 
Reiches nur schwach entwickelt wären. Da nun aber Kisen- 
balınen und Telegraphen vorhanden sind, müssen auch die 
Operationen des Handels und die sonstigen geschäftlichen An- 
gelegenheiten sich notwendig rascher abwickeln. Wer hier zu 
spät kommt, hat das Nachsehen. Ein Jude aus Witebsk, Mohilew 
oder Tselhernigow aber braucht nur die Grenze dieser Gouverne- 
ments zu überschreiten und in. den. Gouvernements. Pskow. 
Smolensk, Orlow oder Kursk aufzutauchen, um trotz. seines 
orduungsgemüss ausgestellten Passes. und. trotz aller Unbe- 
scholtenheit seines bisherigen Lebenswandels als ein Ver- 
brecher zu erscheinen. Sind bei der gegenwärtigen Ent- 
wicklung des Handels solche Zustände erträglich? Ist in 
jenen Distrikten cine Geschitftsentwickelung ohne Mitwirkung 
der Juden überhaupt denkbar? Sollen wir auch noch dic 
unglückliche Lage der jüdischen Arbeiter erwähnen, denen 
es oftmals möglich wäre, schon auf wenige Werst jenseits 
der Ansiedelungsgrenze Arbeit und Unterhalt zu finden, 
während sie jetzt Not leiden müssen? 
Angesichts dieser Lage der Dinge sahen sich die Be- 
hörden genötigt, in vielen Fällen, die eine Verletzung des 
Gesetzes über die jüdische  Ansiedelungsgrenze — betrafen, 
ein Auge zuzudrücken, was bereits durch das erwähnte 
Rundschreiben vom 3. April 1880 ermöglicht war, das in 
dieser Hinsicht dem Ermessen der Behörden einen ziemlich 
weiten Spielraum lässt. 
Der jetzige Minister des Innern hat Massregeln zur 
Einstellung der jüdischen Auswanderung ergriffen und das 
Rundschreiben vom 3. April 1880 wieder in Kraft gesetzt. 
Diese beiden Massnahmen bezeugen, dass der Miuister in 
Bezug auf die Juden einen andern Weg eingeschlagen hat, 
welcher in scharfem Widerspruch zu jenem Wege steht, 
der erst vor kurzem, zum allgemeinen Leidwesen aller auf-
	        
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