Full text: Die Juden in Russland; Urkunden und Zeugnisse Russischer Behörden und Autoritäten

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es einer tiefgehenden Veründerung in dem Verwaltungs- 
system, das in jenem Gebiet zur Anwendung gelangte. 
Ich hege durchaus nieht die Absicht, als Lobsünuger des 
russischen Patriotismus in den jüdischen Kreisen aufzutreten, 
doch vermag ich andrerseits mit jenen nicht übereinzustimmen, 
die der jüdischen Bevölkerung der westlichen Gouverne- 
ments das Gefühl der Ergebenheit Russland gegenüber un- 
bedingt absprechen. 
Dieses Gefühl ist allerdings selten so deutlich hervor- 
getreten, wie in der bekannten Predigt des Rabbiners Pump- 
janski in Ponewesch, der mitten in einer Zeit wilder Demon- 
strationen, im. Áugust 1861, den Mut hatte, in der Synagoge 
seiner Gemeinde eine Belehrung in russisch-patriotischem 
Geiste zu teil werden zu lassen; dieses Gefühl wurde sogar 
durch das ganze System der Absonderung der Juden von 
der übrigen Bevölkerung, durch die obligatorische Einführung 
der deutschen Sprache in die Schule, durch die polizeiliche Ein- 
ınischung in Angelegenheiten der Religion und des Kahals und 
zahlreiche andere, ähnliche Massregeln künstlich unterdrückt. 
Bei alledem jedoch waren die westrussischen Juden, trotz ihrer 
scheinbaren Gleichgültigkeit zur Zeit des Kampfes und ihrer 
Bereitwilligkeit, für Geld der einen oder anderen Seite zu 
dienen, thatsächlich doch auf russischer Seite; als sie aber 
sahen, dass wir selbst treuherzig dem Polentum die Waffe 
gegen uns in die Hand drücken und vor ihnen nicht einmal 
das verbergen können, was notwendig im Dunkel des Ge- 
heimnisses verbleiben sollte, besassen sie nicht den Mut, 
ihre Gefühle óffentlich zu bekennen und brachten sie erst 
dann zum Ausdruck, als wir in den Jahren 1863 und 1864 
zur polnischen Frage ernsthaft Stellung nahmen. Die Polen 
begriffen sehr wohl, dass die Juden der westlichen Gou- 
vernements ihnen mit Abneigung und Misstrauen begegneten, 
und sahen es daher sehr ungern, dass der Jude sich hóflich 
vom ,Pan* [dem polnischen Gutsherrn] fernhielt und dafür 
den Bauern nühertrat, bei denen er denn auch ein viel 
grósseres Vertrauen geniesst als der polnische Adel. 
Nicht umsonst haben die polnischen Herren geheime Ge- 
sellschaften gebildet, die den Zweck hatten, den Handel
	        
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